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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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schlugen ungeheure Becken, und ihre Pauken konnten vier Männer eben gerade umspannen. Ihr Klang war wie der Schall eines mächtigen Donners, und vor dem Lärm konnte man nichts anderes hören. Als der Tanz begann, da spritzten mächtige Wogen empor bis hinauf zum Himmel. Dann wieder fiel es herab wie Sternengefunkel, das in der Luft zerstob.
    Der Fürst der Drachenhöhle gebot ihnen eilig Einhalt und hieß den Nachtigallenreigen vortreten. Das waren lauter sechzehnjährige hübsche Mädchen. Sie machten eine feine Flötenmusik, so dass im Augenblick ein klarer Wind wehte und das Rauschen der Wogen verstummte. Das Wasser wurde allmählich still wie eine Welt aus Kristall, durchsichtig bis zum Grunde. Als sie fertig waren, zogen sie sich zurück und stellten sich im westlichen Hofe auf.
    Dann kam der Schwalbenreigen. Das waren alles kleine Mädchen. Ein Mädchen war darunter, etwa fünfzehn Jahre alt, das tanzte mit fliegenden Ärmeln und wehenden Locken den Tanz der Blumenspende. Im bunten Flattern der Gewänder kamen aus allen Falten vielfarbige Blumen hervor, die vom Winde aufgefangen und im ganzen Hofe umher gewirbelt wurden. Als der Tanz zu Ende war, ging sie mit ihrem Reigen ebenfalls in den Westhof zurück. Aduan blickte seitwärts nach ihr und gewann sie innig lieb. Er fragte seine Reigengenossen nach ihr: da war es Abendrot.
    Aber schon ward der Weidenzweigreigen hervorgerufen. Der Fürst der Drachenhöhle wollte besonders den Aduan prüfen. Aduan tanzte vor. Freude und Trotz folgten den Tönen. Beim Aufblicken und Niederblicken traf er den Takt. Der Drachenkönig, entzückt über seine Gewandtheit, schenkte ihm fünffarbige Kleidung und als Haarschmuck Karfunkel auf goldenen Fischbartfäden. Aduan verneigte sich dankend für das Geschenk und eilte ebenfalls zum Westhof hin. Alle standen sie in Reih und Glied. Aduan konnte nur von ferne nach Abendrot hinblicken; doch auch Abendrot schaute zu ihm her.
    Nach einer Weile schlich sich Aduan allmählich an das Ende seines Reigens, und auch Abendrot näherte sich ihm. So standen sie nur ein paar Schritte voneinander. Aber die Strenge der Regeln duldete keine Verwirrung der Reihen. Sie konnten nur einander anschauen und ihre Seelen fliegen lassen. Nun folgte noch der Schmetterlingsreigen. Da tanzten Knaben und Mädchen gemeinsam. Die Paare waren an Größe, Alter und Farbe der Kleider gleich. Als alle Reigen zu Ende waren, da gingen sie im Gänsemarsch hinaus. Der Weidenzweigreigen folgte dem Schwalbenreigen. Aduan eilte seinem Reigen voran. Abendrot blieb zögernd hinter ihrem zurück. Sie wandte den Kopf, und als sie Aduan sah, da ließ sie absichtlich einen Haarpfeil aus Koralle fallen. Aduan barg ihn eilig im Ärmel.
    Nach der Rückkehr ward er krank vor Sehnsucht. Schlaf und Speise blieben ihm fern. Die Mutter Hiä brachte ihm allerlei Leckerbissen und sah am Tage drei-, viermal nach ihm und streichelte ihn liebreich besorgt. Doch ward die Krankheit nicht im geringsten besser. Die Mutter betrübte sich darob und wußte keinen Rat.
    Sie sprach: ,,Schon steht das Geburtsfest des Wu-Fluss-Königs vor der Tür. Was tun?«
    Im Zwielicht kam ein Knabe, setzte sich auf seines Bettes Rand und plauderte mit ihm. Er sei vom Schmetterlingsreigen, sagte er und fragte leichthin: »Seid Ihr etwa um Abendrot so krank?« Erschrocken fragte Aduan, woher er solches wisse. Der andere sagte lächelnd: »Nun, weil es Abendrot gerad so geht wie Euch.«
    Bestürzt richtete Aduan sich auf und bat um einen Rat. »Könnt Ihr noch gehen?« fragte der Knabe. »Wenn ich mir Mühe gebe, geht es wohl noch«, war die Antwort.
    Da führte ihn der Knabe nach Süden. Dort öffnete er ein Tor, dann ging es nach Westen um die Ecke. Nochmals taten sich die Flügel einer Tür auf, da erblickte er ein Lotosfeld, wohl zwanzig Morgen weit. Die Lotosblumen wuchsen alle auf der ebenen Erde. Die Blätter waren groß wie Matten und die Blumen wie Schirme. Die abgefallenen Blütenblätter bedeckten den Boden unter den Stengeln wohl fußhoch. Der Knabe führte ihn hinein und sprach: »Nun setzt Euch erst ein wenig!« Dann ging er weg.
    Nach einer Weile bog ein schönes Mädchen die Lotosblumen auseinander und kam herein. Es war Abendrot. Sie erblickten einander voll freudigen Schreckens und erzählten, wie sie sich so sehr gesehnt. Auch sprachen sie von ihrem früheren Leben.
    Dann beschwerten sie die Blütenschirme mit Steinen, so dass sie sich zur Erde neigten und eine sichere Schutzwand bildeten. Sie

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