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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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lief ihm nach. Zum Glück war das Haus nicht weit entfernt. Er lief, was er konnte, rannte die Treppe empor und schloss die Tür hinter sich zu. Allmählich kam er wieder etwas zu Atem. Draußen war kein Laut zu hören. So dachte er, die Leiche sei vielleicht nicht mitgekommen. Er öffnete das Fenster und spähte nach unten. Die Leiche lehnte an der Mauer des Hauses. Plötzlich sah sie, dass das Fenster offen war. Mit einem Satz sprang sie in die Höhe zum Fenster hinein. Vor Schreck erstarrt fiel der Lehrer die Haustreppe hinunter und blieb unten bewußtlos liegen. Da fiel auch oben die Leiche zu Boden. Die Schüler waren um jene Zeit alle schon nach Hause gegangen. Der Hausherr wohnte in einem anderen Hause, so dass kein Mensch die Geschichte bemerkte. Am anderen Morgen kamen die Schüler in die Schule. Die Tür war verschlossen. Sie riefen, niemand antwortete. Da schlugen sie die Tür ein und fanden ihren Lehrer auf der Erde liegen. Sie besprengten ihn mit Ingwersuppe; aber es dauerte lange, bis er wieder zu sich kam. Auf Befragen erzählte er dann, was ihm begegnet war. Alle miteinander stiegen sie dann nach oben und schafften die Leiche herab. Man brachte sie vor das Dorf und verbrannte sie. Die Knochenreste tat man dann wieder in den Sarg. Der Lehrer aber sagte seufzend: »Um der Gewinnsucht eines Augenblicks willen wäre ich beinahe ums Leben gekommen.« Er gab seine Stelle auf und kehrte heim und hat in seinem Leben nie wieder von Gewinn geredet.

71. Die Nacht auf dem Schlachtfeld
    Es war einmal ein Kaufmann, der mit seinen Waren vom Süden nach Schantung wanderte. Es war etwa um die zweite Nachtwache, da erhob sich ein heftiger Nordsturm. Er sah zur Seite der Straße eine Herberge, deren Lichter eben angezündet wurden. Er ging hinein, um einen Trunk zu sich zu nehmen und bestellte Nachtquartier. Die Leute in der Herberge machten Einwände. Ein alter Mann hatte Mitleid mit seiner peinlichen Lage und sprach zu ihm: »Wir haben eben ein Mahl aufgetragen für Krieger, die von weither kommen, und haben keinen Wein für Euch übrig. Hier neben ist aber noch ein Zimmerchen, in dem Ihr übernachten könnt.« Mit diesen Worten führte er ihn hinein. Der Kaufmann konnte vor Hunger und Durst nicht schlafen. Er hörte draußen Lärm von Menschen und Pferden. Da ihm die Sache nicht recht geheuer vorkam, stand er auf und sah durch den Spalt in der Tür, wie die ganze Herberge voll war von Soldaten, die auf der Erde saßen, tranken und aßen und von Kriegszügen redeten, von denen er gar nichts wußte. Nach einer Weile riefen sie einander zu: »Der Feldherr kommt!« Und ganz in der Ferne hörte man die Rufe der Leibwache. Alle eilten hinaus, ihn zu empfangen. Er sah dann einen Zug von vielen Papierlaternen, und in ihrer Mitte ritt ein langbärtiger Mann von kriegerischem Aussehen. Er stieg vom Pferde, trat ein und setzte sich obenan. Die Soldaten standen an der Türe, seiner Befehle gewärtig; der Wirt trug Wein und Essen auf, das er schmatzend verzehrte.
    Als er fertig war, traten seine Offiziere herein, und er sprach zu ihnen: »Ihr seid nun schon lange ausgerückt. Geht zu euren Leuten zurück; ich will auch ein wenig ausruhen. Es ist Zeit genug, weiterzugehen, wenn der Aufbruchsbefehl eintrifft.«
    Die Offiziere nahmen den Befehl entgegen und entfernten sich. Dann rief er: »Atsi soll kommen!« Darauf kam ein junger Offizier von links her aus dem Hause. Die Leute in der Herberge schlossen das Tor und zogen sich zurück. Atsi geleitete den Langbart zu der Türe links hinein, durch deren Spalt der Schein einer Lampe heraus drang. Der Kaufmann schlich sich aus seinem Zimmer und schaute durch die Türspalte ihnen zu. Drinnen war ein Bett aus Bambus ohne Decken und Kissen. Die Lampe stand auf dem Boden. Der Langbart griff mit den Händen nach seinem Kopf. Der löste sich, und er stellte ihn auf das Bett. Darauf nahm ihn Atsi an den Armen. Die gingen ebenfalls ab, und er legte sie sorgfältig an ihren Platz daneben. Dann warf sich der Alte quer über das Bett. Atsi fasste ihn um den Leib, der unter der Hüfte abbrach und sich in zwei Teile teilte, die zur Erde fielen. Die Lampe erlosch alsbald. Starr vor Schrecken eilte der Kaufmann in größter Hast in sein Zimmer zurück, hielt sich den Ärmel vors Gesicht und legte sich nieder. Die ganze Nacht wälzte er sich schlaflos umher. — In der Ferne hörte er einen Hahn krähen. Er fröstelte. Er nahm den Ärmel vom Gesicht und sah, dass es am Himmel zu dämmern begann. Er

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