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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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den ganzen Boden voll, und die Seidenkleider flogen in Fetzen herum.
    Go Schu Han ward bei diesem Anblick von Entsetzen erfasst. Er konnte es aber nicht länger mit ansehen; darum nahm er ein Schwert, warf es nach ihnen hinaus und schrie mit lauter Stimme: »Packt die Teufel!«
    Die Teufel erschraken und liefen weg. Er machte sich ihre Furcht zunutze, hob sein Schwert wieder auf und verfolgte sie. Sie flüchteten nach der Südwestecke des Hofes. Dort stiegen sie über die Mauer und verschwanden. Einer aber blieb zurück, dem schlug er einen Finger ab; der war so dick wie ein Arm, dicht behaart, und das Blut quoll in dicken Tropfen hervor.
    Als die Diener den Lärm hörten, kamen sie eilig herbei und fragten, was es gäbe. Go Schu Han befahl ihnen, die Knochenreste seiner Frau aufzusammeln. Doch war am Platze der schrecklichen Mahlzeit nichts zu sehen. Sie traten in das Zimmer, da stand der Sarg, unberührt wie zuvor. Die Diener dachten, ihr Herr habe geträumt; doch fand sich an der Mauer Blut, auch waren Fußspuren zu sehen. Niemand konnte sich erklären, was es mit der Sache auf sich habe. Aber nach ein paar Jahren ward Go Schu Han tatsächlich berühmt.

74. Die verwandelte Frau
    Südlich vom Yangtsekiang lebte ein Gelehrter, der wandelte häufig im Guai Gi-Gebirge umher. Er kehrte in einem Bergdorfe ein. Seine Wirtsleute hatten eine Tochter, die ihm gefiel, und er nahm sie als Nebenfrau zu sich. Nach einigen Jahren ward er Beamter und machte sich mit seiner Nebenfrau zusammen auf in seinen Amtsbezirk. Die Frau, die früher immer lieb und sanft gewesen war, fing plötzlich an, unbändig, wild und eigensinnig zu werden. Fortwährend kam es vor, dass sie in Wut geriet, Knechte und Mägde schlug, sie auch wohl blutig biss. Nun erst merkte der Mann, dass seine Frau recht bösartig war, und hegte Argwohn gegen sie in seinem Herzen.
    Einst ging er mit einigen Freunden auf die Jagd, und sie erlegten Füchse und Hasen in großer Zahl, die er in die Küche schaffen ließ. Während er seine Gäste bewirtete, schlich sich die Frau in die Küche, nahm die Füchse und Hasen und fraß sie in rohem Zustand auf. Heimlich hinterbrachte es eine Magd dem Mann. Da merkte er, dass seine Frau gar kein menschliches Wesen sei. So mied er sie und schlief in einem anderen Zimmer.
    Einst hatte sein Diener ein Reh gefangen und es ihm dargebracht. Er gab vor, dass er eine Reise machen müsse, und verließ das Haus. Heimlich aber versteckte er sich und beobachtete das Gebaren seiner Frau.
    Nicht lange dauerte es, da sah er die Frau mit fliegendem Haar und nackter Brust und hervorquellenden Augen, gänzlich verwandelt, in den Saal eintreten. In der linken Hand hatte sie das Reh, mit der rechten raufte sie ihm die Haare aus, dann zerriß sie es und fraß es auf, dass die Knochen nur so knirschten.
    Der Mann geriet in große Aufregung. Er nahm einige Dutzend seiner Leute mit Schwertern und Stangen zu sich und trat in das Zimmer. Als das Weib ihn kommen sah, da riss sie sich die Kleider vom Leibe. Dann stand sie steif und aufgerichtet da. Sie war ein Oger geworden. Ihre Augen schossen Blitze, Zähne hatte sie wie Schwerter, ihre Muskeln waren straff gespannt, und am ganzen Leibe war sie blau. Die Diener zitterten alle bei dem Anblick und wagten sich nicht, ihr zu nahen. Der Mann aber fiel vor Schreck bewußtlos zu Boden. Da sah das Ogerweib sich scheu nach allen Seiten um, als ob sie sich vor irgend etwas fürchtete. Dann ergriff sie das halbe Reh, stieg über die Mauer und lief weg. So eilig hatte sie’s, dass sie eine dichte Staubwolke hinter sich ließ. Wohin sie ging, hat niemand je erfahren.

75. Das Oger-Reich
    In Annam lebte ein Mann namens Sü, der fuhr als Kaufmann über das Meer. Plötzlich wurde er von einem großen Sturme an eine ferne Küste verschlagen. Zerklüftete Berge erhoben sich, von üppigem Grün bewachsen. Doch sah er auf dem Lande etwas, das Menschenwohnungen glich. So nahm er denn Wegzehrung zu sich und stieg ans Ufer. Kaum war er ins Gebirge eingetreten, so sah er auf beiden Seiten die Öffnungen von Höhlen, dicht gereiht wie Bienenkörbe. Er blieb stehen und sah in eines der Löcher hinein. Da waren zwei Oger darin, die hatten Zähne wie Speere. Ihre Augen glichen feurigen Lampen. Mit den Krallen zerrissen sie einen rohen Hirsch und fraßen ihn auf. Er erschrak bei diesem Anblick aufs Äußerste und wollte entfliehen; aber die Oger hatten ihn schon erblickt, fingen ihn ein und nahmen ihn mit sich in ihre Höhle. Die

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