Maerchen aus Malula
»Ich habe es mir überlegt«, sagte der Ritter lachend nach der Begrüßung, »dein Siegel will ich nicht behalten. Es ist viel zu bedeutsam für unser Reich, als daß ich es an der Kette mit den anderen Ringen tragen könnte. Hier ist es, doch heute will ich mit dir um eine Sklavin spielen. Wenn du gewinnst, o Herrscher der Gläubigen, so darfst du meine allerliebste Sklavin für eine Nacht besitzen. Gewinne ich, so habe ich das Recht auf die deinige.«
»Es ist mir recht«, antwortete der Sultan und setzte sich zum Spiel nieder. Nach drei Stunden erntete er die Früchte seines Sieges. »So laß deine schönste Sklavin mir die Nacht in meinem Zelt zur hellen Freude verzaubern. Doch du kannst dich morgen rächen«, verabschiedete sich der Sultan von seinem verärgert scheinenden Gegenspieler und begab sich in sein Schlafzelt. Nach einer Stunde betrat eine verschleierte Frau das Zelt. »Mein Herr befahl mir, o Herrscher der Gläubigen, dir eine Liebesnacht zu schenken.« Im Dämmerlicht der Öllampen bewunderte der Sultan die Schönheit der Frau. Sie tanzte und ließ einen Schleier nach dem anderen fallen,doch der Sultan konnte das Ende des Tanzes nicht mehr abwarten, er nahm die Frau in die Arme und genoß mit ihr die Freuden der Liebe. Immer wieder ermunterte sie ihn durch ihre Liebeskünste zum erneuten Spiel ihrer Körper und Seelen. Erst in der Morgendämmerung fiel der Sultan in tiefen Schlaf.
Am nächsten Tag wachte er gegen Mittag auf, wusch sich, aß und trank. Er hatte das Interesse an der Jagd verloren. Er bat seinen Minister, ihm einige listige Schachzüge beizubringen. Dies tat der Wesir gern, da er den Fremden nicht leiden konnte. Es schien, als hätte die Niederlage dem jungen Ritter den Schlaf geraubt, denn er kam voller Unruhe und früher als erwartet in das Zelt des Sultans.
»Ich wette mit dir um die schöne Sklavin von gestern«, bot der Sultan und stellte das Schachbrett auf den kleinen Tisch.
»Einverstanden.« Doch sosehr der Gast sich auch bemühte, er konnte den heimtückischen Fallen des Herrschers nicht entgehen. Er verabschiedete sich unter dem Gelächter des Sultans und seines Wesirs und eilte hinaus. Auch in dieser Nacht kam die schöne Sklavin, tanzte, liebkoste ihn und genoß die Zärtlichkeiten des Sultans, so daß dieser verzauberter war als in der Nacht zuvor.
Am dritten Tag verlor der Ritter abermals, und seine Miene war finster, als er das Zelt verließ. »Nie wieder werde ich diesen Boden betreten, auf dem ich dreimal meine geliebte Sklavin verloren habe.«
Die Sklavin kam, und der Sultan fühlte sich so glücklich wie nie zuvor. Er streichelte, umarmte und küßte sie. »Bleib doch bei mir«, sprach er, nicht befehlend, sondern fast flehend. Die schöne Sklavin lächelte geheimnisvoll, und als der Sultan aufwachte, war vom Ritter und seinem Gefolge keine Spur mehr zu sehen.
Die Zeit verging, und Jahr für Jahr kam die Beduinenfrau zum Wesir, zeigte ihm das unberührte Siegel und kehrte mit der Schachtel zurück. Mit den Jahren vergaß der Sultan sie, doch die Frau kam unbeirrt zum Minister, so daß dieser nach über zwanzig Jahren Mitleid mit ihr hatte. Er wagte es aber nicht, dem Wort des Sultans zuwiderzuhandeln. »Ja, ja«, flüsterte er, »es ist immer noch unberührt.« Manchmal wunderte er sich über das merkwürdige Lächeln der Frau.
Eines Tages hörte die Tochter des Wesirs eine ihrer Freundinnen von der Schönheit eines Gewürzhändlers schwärmen. Sie eilte zum Gewürzmarkt und wanderte von Laden zu Laden, bis sie den jungen Mann sah. Auch sie war hingerissen von seiner Schönheit. Ihr Herz blieb fast stehen, als der Händler sie ansprach und sie fragte, was sie wünsche. »Thymian, nein, Rosinen, ja, Rosinen möchte ich haben.« Wie benommen füllte der Händler eine große Tüte mit den besten Rosinen, gab sie der Frau, und erst als sie zu Hause angekommen war, merkte sie, daß sie nicht bezahlt hatte. Der Händler war nicht weniger ihrem Blick erlegen als sie dem seinem. Es vergingen nicht einmal zwei Tage, bis die Tochter des Wesirs zumMarkt zurückkehrte. Der Händler atmete erleichtert auf und gab ihr wieder eine Tüte voller auserlesener Rosinen. Dann fragte er sie, wo sie wohne, und versprach, in der Nacht zu ihr zu kommen. Tollkühn, wie es nur Verliebte sein können, schlich er an den Wächtern des Wesirpalastes vorbei und kletterte zu seiner Geliebten. Die junge Frau öffnete das Fenster und verbrachte mit ihrem mutigen Liebhaber die schönsten
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