Maerchen aus Malula
Scharfrichter einen Wink. Zwei Soldaten traten zum jungen Händler und rissen ihm das Hemd vom Leib. In diesem Augenblick erblickte der Sultan die Perlenkette am Hals des Verurteilten.
»Halt!« schrie der Sultan laut, als der Scharfrichter das Schwert erhob. Alle Anwesenden staunten. »Woher hast du diese Kette?« fragte er den Händler.
»O Herr«, antwortete der Mann mit trockener Kehle, »meine Mutter hat sie mir umgelegt. Sie hat sie vor langer Zeit von einem Sultan bekommen, den sie einmal besiegt hatte.« Der Wesir schaute seinen Herrscher an.
»Komm näher«, rief der Sultan und prüfte die Perlen. »Sie sind es. Diese Perlen gibt es nur einmal. Wo ist deine Mutter?« fragte der Sultan.
»Zu Hause. Wir bewohnen die Wohnung über dem Laden.« Der Sultan befahl zwei seiner Offiziere, zu der Frau zu reiten und sie zu ihm zu bitten. Das taten sie, und es dauerte nicht lange, bis die Frau eintraf. Sie ging zu ihrem Sohn, streichelte ihm die Wange und trat mit erhobenem Haupt vor den Sultan. Der Wesir erkannte die Frau sofort, die ihm Jahr für Jahr die versiegelte Schachtel vorgezeigt hatte. Sie trug auch an diesem Tag das Kästchen bei sich.
»Salam aleikum, Herrscher der Gläubigen!« grüßte die Frau.
Der Sultan schaute die Frau verwirrt an. »Sprich!« befahl er nach einer Weile leise.
»Ich spreche, wenn du mir einen Wunsch erfüllst«, antwortete die Frau.
»Er sei dir gewährt, was auch immer du außer meinem Leben wünschst«, erwiderte der Sultan.
»Dieser Junge ist dein Sohn, o Sultan. Statt mich zu lieben hast du dein Schwert zwischen uns gelegt. Du gabst mir die Perlenkette, damit ich sie unserem Sohn schenke, und die Schachtel mit dem Siegel. Die Wege der Städter sind verzweigt, doch die List der Beduinen führt zum Ziel. Ich habe am nächsten Tag, nachdem du mich verlassen hattest, zwanzig Mädchen meines Stammes gewählt. Die Tapfersten und Klügsten habe ich ausgesucht. Wir lauerten als Männer verkleidet vor der Hauptstadt, bis du eines Tages zur Jagd gingst. Wir ritten euch nach, und ich führte dir einige Reitkünste der Beduinen vor, die dich in Staunenversetzten. Dann forderte ich dich zum Schachspiel heraus. Ich konnte dich besiegen. Ich nahm am ersten Abend dein Siegel, öffnete die Schachtel, nahm die Juwelen und das Gold heraus, füllte sie dann mit Spreu, verschloß und versiegelte sie wieder. Am nächsten Tag gab ich dir dein Siegel zurück und verlor das Schachspiel. Gott weiß, wie schlecht du an jenem Tag gespielt hast. Ich mußte aber verlieren, damit meine List Erfolg hatte. Du hast eine Nacht mit meiner Sklavin gewonnen, aber diese verschleierte Sklavin war niemand anderes als ich. Ich liebte dich an jenem bedeutenden Tag und besiegte dich. Doch ich wollte sichergehen. Die Nacht mit dir war schön, und sie nahm mir die letzte Kraft, doch am nächsten Tag mußte ich wieder als Ritter erscheinen und gegen dich spielen, und diesmal hast du wirklich gewonnen, denn die Sehnsucht nach dir und die Müdigkeit hatten mir die Geistesgegenwart genommen. Schachspieler müssen all ihre anderen Leidenschaften begraben, sonst sind sie im Taumel der Schlacht verloren. So unterlag ich und genoß die Nacht mit dir. So ging es auch in der dritten Nacht. Dieser Sohn ist die Frucht unserer Liebe. Die Schachtel habe ich dem erfahrenen Minister immer wieder in die Hand gedrückt, in der Hoffnung, daß er irgendwann einmal ihr leichtes Gewicht bemerkt, doch er nickte nur immer wieder und wiederholte: Sie ist unberührt.« Sie warf die Schachtel dem Wesir zu. Er brach das Siegel auf, und es war tatsächlich nichts als Spreu darin, wie die Frau gesagt hatte.
»Mein Gott, und ich hätte beinahe meinen eigenen Sohn umgebracht«, murmelte der Sultan. Er drehte sich zum Wesir um: »Was für eine Freude! Mein Sohn soll deine Tochter heiraten. Schicke den vertrottelten Prinzen in die Wüste, damit er klüger wird, sonst schicke ich ihn zu seinem Erschaffer.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl«, atmete der Wesir erleichtert auf.
»Und du hast es verdient, meine Gemahlin zu werden. Von meinen anderen Frauen habe ich nur Mädchen geschenkt bekommen. Es ist wahrscheinlich ein Fingerzeig Gottes, daß ich Gerechtigkeit walten lasse«, fuhr der Sultan fort.
»Ich habe aber meinen Wunsch noch nicht ausgesprochen«, antwortete die Frau.
»Ach ja, dein Wunsch!« entschuldigte sich der Sultan. »Sage, was dein Herz begehrt. Ich werde es dir erfüllen.«
»So lange habe ich um dich gekämpft, und doch, jetzt, da
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