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Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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er mußte die zehn Runden durchhalten. Fast erfroren trat Hassan in die Küche und wollte seine Hände am Kamin wärmen.
    »Du bist aber heute sehr schnell fertig«, donnerte die Stimme des Schloßherrn. »Waren das zehn Runden?« fragte er und lachte.
    »Ja, Herr, es waren zehn Runden.«
    »Bist du rechtsherum oder linksherum gegangen?« fragte der Herr wieder. Hassan schaute ihn erstaunt an, denn eine solche Frage hatte er nicht erwartet.
    »Links … nein … rechtsherum, wie immer.«
    »Um Gottes willen!« rief der Mann entsetzt.»Deshalb ging es meinem edlen Pferd so schlecht. Linksherum mußt du gehen, also mach zehn Runden, um die falschen auszugleichen, und dazu zehn richtige Runden, damit mein Pferd sich wieder wohl fühlt.«
    »Aber Herr, es ist sehr kalt …«
    »Ein Knecht widerspricht seinem Herrn nicht, es sei denn, er hätte sich geärgert. Hast du dich geärgert?«
    »Nein, ich ärgere mich nie!« flüsterte Hassan und stürzte hinaus. Er zog das Pferd zwanzig Runden linksherum und flüsterte immer wieder: »Bloß nicht ärgern, es ist bald vorbei.« Als er erschöpft das Pferd in den Stall brachte, stand die stumme Putzfrau da, als hätte sie auf ihn gewartet. Sie blickte ihn mit besorgten Augen an, lief auf ihn zu, drückte fest seine Hände und lächelte, als wollte sie ihm Mut machen. Doch Hassan stieß sie von sich. »Du bringst mir noch Pech heute, laß mich in Ruhe«, rief er und eilte ins Haus.
    In der Küche saß der Schloßherr hinter dem großen Tisch und speiste. Mehrere Schüsseln mit bunten und herrlich duftenden Gerichten füllten den Tisch. Hassans Magen knurrte vor Hunger, denn er hatte noch keine Zeit gehabt zu frühstücken. Er wollte sich ein Stück Brot abschneiden und es mit einem kleinen Stück Käse essen. Der Schloßherr aber lachte laut: »Was sehe ich da? Willst du etwa essen?«
    »Ja, Herr, ich habe noch nicht gefrühstückt.«
    »Habe ich dir nicht gesagt, daß meine Knechte am letzten Tag nichts essen dürfen?« fragte er und grinste Hassan an.
    »Nein, Herr, das haben Sie nicht gesagt«, antwortete Hassan, und die Wut stieg in seiner Brust auf.
    »Dann habe ich es vergessen. Jetzt kann ich es dir sagen. Du darfst nichts essen und schon gar nichts trinken. Bist du darüber verärgert?«
    »Nein, Herr, ich kann den Tag auch ohne Essen verbringen. Ich ärgere mich nie!« rief Hassan und wollte hinausgehen, aber der Schloßherr brüllte fast vor Lachen.
    »Ich sehe es, mein Kleiner, du fängst an, dich zu ärgern, deshalb darfst du nicht aus der Küche gehen. Du mußt hier in meiner Nähe bleiben«, befahl er und begann wieder zu essen. Er schmatzte und stöhnte vor Genuß.
    Hassan dachte zum ersten Mal über die sonderbaren Gerichte nach, die der Schloßherr täglich zu sich nahm, ohne daß irgendein Koch sie zubereitete. Wenn er sich satt gegessen hatte, verschwand alles so plötzlich, wie es aufgetischt worden war. Nie hatte Hassan so genau hingeschaut wie an jenem Samstag. Eine große Angst lähmte ihn, als er hörte, wie der Schloßherr schwärmte: »Oh, wie lecker die Träume der Knechte sind.«
    Immer wieder fragte der Schloßherr, ob Hassan sich ärgere, dieser antwortete nicht mehr, sondern schüttelte nur noch den Kopf. Mit Mühe konnte er seine Tränen zurückhalten. Als der Herr mit dem Essen fertig war, rief er: »Und nun mach mir meine Sitzecke zurecht!« Hassan stand auf und ging mit langsamenSchritten in den großen Raum, wo er jeden Nachmittag den Perserteppich bürstete und die weichen Kissen aufschüttelte, damit der Schloßherr im angenehmen Duft des Weihrauchs seinen Tee genießen konnte. Doch als Hassan den ohnehin sauberen Teppich abgestaubt hatte, trat der Schloßherr mit verdreckten Stiefeln auf den Teppich und ging ein paarmal hin und her, um dann wieder hinauszugehen. Der Teppich war nun richtig schmutzig, und Hassan mußte von vorne anfangen. Doch alsbald betrat der Schloßherr wieder den Raum und verschmutzte erneut den Teppich. »Aber Herr!« stöhnte Hassan.
    »Was ist?« lachte der Mann zurück. »Ärgert es dich, daß ich immer wieder komme? Wenn das so ist, brauchst du es nur zu sagen, dann komme ich nicht mehr.«
    »Nein, es ärgert mich überhaupt nicht«, knirschte Hassan und schrubbte weiter. Erst am späten Nachmittag zog der Schloßherr seine schmutzigen Stiefel aus. Er klopfte auf Hassans müde Schultern und brüllte: »Jetzt ist der Tee fällig!« Hassan schleppte sich in die Küche, um den Matebrockentee aufzukochen. Dort traf er

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