Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre
erste lautet: Wieviel Tropfen Wasser sind in dem Weltmeer?“
Das Hirtenbüblein antwortete: „Herr König, laßt alle Flüsse auf der Erde verstopfen, damit kein Tröpflein mehr daraus ins Meer läuft, das ich nicht erst gezählt habe, so will ich Euch sagen, wieviel Tropfen im Meere sind.“
Sprach der König: „Die andere Frage lautet: Wieviel Sterne stehen am Himmel?“
Das Hirtenbübchen sagte: „Gebt mir einen großen Bogen weiß Papier“, und dann machte es mit der Feder so viel feine Punkte darauf, daß sie kaum zu sehen und fast gar nicht zu zählen waren und einem die Augen vergingen, wenn man darauf blickte. Darauf sprach es: „So viel Sterne stehen am Himmel als hier Punkte auf dem Papier: zählt sie nur.“ Aber niemand war dazu imstand.
Sprach der König: „Die dritte Frage lautet: Wieviel Sekunden hat die Ewigkeit?“
Da sagte das Hirtenbüblein: „In Hinterpommern liegt der Demantberg, der hat eine Stunde in die Höhe, eine Stunde in die Breite und eine Stunde in die Tiefe; dahin kommt alle hundert Jahr ein Vögelein und wetzt sein Schnäblein daran, und wenn der ganze Berg abgewetzt ist, dann ist die erste Sekunde von der Ewigkeit vorbei.“
Sprach der König: „Du hast die drei Fragen aufgelöst wie ein Weiser und sollst fortan bei mir in meinem königlichen Schlosse wohnen, und ich will dich ansehen wie mein eigenes Kind.“
Brüder Grimm
Kleinfingerlang
Ein russisches Märchen
Es lebten einst ein alter Mann und eine alte Frau. Einmal wollte die Frau Kraut einschneiden. Dabei schnitt sie sich aus Versehen den kleinen Finger ab. Sie wickelte den Finger in ein Läppchen und legte ihn auf die Bank.
Plötzlich hört sie es auf der Bank weinen. Sie wickelt das Läppchen auf, da sieht sie ein Knäblein in dem Tuch liegen, genausolang wie ihr Finger. Sie erschrak und fragte staunend: „Wer bist du denn?“
„Ich bin dein Söhnlein, bin aus deinem kleinen Finger gewachsen.“
Die Alte sah es sich genau an: Tatsächlich, es war ein winzig, winzig kleines Büblein, kaum daß man es auf der Erde erkennen konnte. Und sie gab ihm den Namen Kleinfingerlang. Das Knäblein gedieh. Zwar wurde es an Wuchs nicht größer, dafür aber war es klüger als mancher Erwachsene.
So fragte es einmal: „Wo ist denn mein Väterchen?“
„Aufs Feld hinausgefahren.“
„Ich will zu ihm gehn, ihm helfen.“
„Geh nur, mein Kindchen!“
Das Büblein kommt aufs Feld.
„Guten Tag, Väterchen.“
Der Alte blickt sich um.
„Sonderbar! Ich hör doch eine Stimme und kann niemand sehn. Wer spricht denn da mit mir?“
„Ich bin es, dein Söhnlein. Bin gekommen, dir beim Pflügen zu helfen. Setze dich, Väterchen, iß und ruh ein Weilchen!“
Der Alte freute sich und setzte sich nieder zum Essen. Kleinfingerlang aber schlüpfte dem Pferd ins Ohr und fing zu pflügen an. Zuvor aber hatte er dem Vater aufgetragen: „Kommt jemand und will mich bei dir kaufen, verkauf mich ruhig. Hab keine Angst, ich komme nicht um, ich find immer wieder nach Hause.“
Da kommt ein Barin vorbeigefahren. Er schaut aufs Feld und wundert sich: Ein Pferd geht im Gespann, der Pflug wendet die Scholle, und doch ist kein Mensch dabei zu sehen!
„So etwas habe ich noch nie gehört und nie gesehn, daß ein Pferd alleine pflügen kann!“
Der Alte aber spricht zum Barin: „Bist du denn blind? Es ist ja doch mein Sohn, der dort pflügt!“
„Verkauf ihn mir!“
„Nein, ich verkauf ihn nicht, das ist doch unser Kleinfingerlang, unsere ganze Freude, unsere ganze Kurzweil!“
„Verkauf ihn mir, Großväterchen!“
„Gut, gib tausend Rubel!“
„Warum so teuer?“
„Siehst doch selber: Der Knabe ist klein, aber verwegen, hat schnelle Bein’ und ist flink im Bewegen!“
Der Barin bezahlte die tausend Rubel, nahm Kleinfingerlang, steckte ihn in die Tasche und fuhr heim.
Kleinfingerlang aber nagte ein Loch in die Tasche und entschlüpfte dem Barin. Er lief und lief, bis ihn die Nacht überraschte.
Er versteckte sich unter einem Grashälmchen am Weg und schlief ein. Da kam ein hungriger Wolf gelaufen und verschluckte Kleinfingerlang.
Kleinfingerlang sitzt im Wolfsbauch und pfeift sich eins. Dem Grauwolf aber ergeht es nun schlecht: Trifft er mal auf eine Herde, bei der der Hirt schläft und die Schafe unbeaufsichtigt weiden, und will er sich heranschleichen, um eines der Schafe zu packen - gleich schreit Kleinfingerlang aus vollem Halse: „Hirt, Hirt, Schafhirt! Der Wolf holt dir ein Schaf, und du liegst
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