Märchen unter dem Wüsenhimmel
Gästen, Platzzunehmen.
Liana wurde zu einem Tisch auf einer Empore geführt und zwischen Malik und den König von Bahania gesetzt. Sie schluckte schwer.
Malik beugte sich zu ihr. „Was denkst du?“
„Dass ich vor all diesen Leuten nicht unbedingt meinen Wein verschütten oder mein Essen von der Gabel fallen lassen will.“
Er fand ihre Hand unter dem Tischtuch, drückte sie sanft und ließ sie wieder los. „Du wirst dich daran gewöhnen. Und sobald das Essen serviert ist, interessieren sich die meisten Leute mehr für ihr eigenes Gedeck und das Gespräch an ihrem Tisch als für das, was hier oben passiert.“
Sie beugte sich zu ihm, bis ihre Lippen beinahe sein Ohr berührten. „Wird von mir erwartet, dass ich mit einem König plaudere?“
„Du hast dich doch schon mit meinem Vater unterhalten. Keine Sorge, du schaffst das schon.“
Sein steter Blick kündete von seinem Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Seltsamerweise gefiel es ihr und erweckte in ihr den Drang, sich zu beweisen.
Sie blickte sich im Raum um und lächelte, als sie einen jungen Mann angeregt mit einem jungen Mädchen sprechen sah.
Der König von Bahania bemerkte ihr Interesse. „Mein Jüngster“, verkündete er stolz. „Er entdeckt gerade die Reize des anderen Geschlechts.“
„Er ist sehr hübsch“, sagte Liana und erkannte, dass sie nicht die Einzige war, die den harmlosen Flirt beobachtete.
Wie furchtbar muss es sein, derart im Rampenlicht aufzuwachsen, dachte sie und fragte sich, wie es Malik ergangen sein mochte. Hatte er jemals einen Augenblick der Privatsphäre genossen? Mitgefühl stieg in ihr auf für den kleinen Jungen, der gezwungen worden war, wie ein Mann zu handeln. Wer hatte seine Ängste verscheucht? Wer hatte ihn getröstet und ihm Zärtlichkeit geschenkt? Und wenn es niemand getan hatte, trug er die Leere dann immer noch mit sich herum?
Sie betrachtete ihren Ehemann, der so selbstsicher und verschlossenwar. Was würde passieren, wenn er sich sicher genug fühlte, um sein Herz zu öffnen? Vielleicht sollte sie sich die Zeit nehmen, es herauszufinden.
„Ich hatte einen sehr schönen Abend“, verkündete Liana steif.
Als Malik ihr angeboten hatte, sie in ihre Suite zu begleiten, hatte sie sich mehr als oberflächliches Geplauder erhofft. Schließlich hatte er sie den ganzen Abend lang mit glühenden Blicken verfolgt, während sie mit Dutzenden von Staatsmännern getanzt hatte. Es war ihr schwer gefallen, höfliche Konversation zu treiben, da sie sich im Geiste ausgemalt hatte, mit Malik zu schlafen. Doch seit dem Verlassen des Ballsaals verhielt er sich zurückhaltend. Vielleicht hatte sie sich sein Interesse nur eingebildet.
„Es freut mich, dass du dich amüsiert hast“, bemerkte er höflich.
„Möchtest du auf einen Drink hereinkommen? Bethany schläft heute im Kinderzimmer mit Doras Kindern, sodass wir nicht befürchten müssten, sie zu wecken.“
Sie fühlte sich wie ein schamloses Flittchen, denn sie bezweifelte nicht, dass er das Verlangen in ihrem Blick erkannte. Ihre Haut war heiß und ihre Wangen glühten. Seit sie den ersten Tanz mit Malik absolviert hatte, war sie praktisch erregt.
„Ein Drink wäre mir recht“, erwiderte er, als sie die Tür öffnete und eintrat.
„Setz dich“, bot sie an, während sie zu der Bar in einer Ecke des Wohnzimmers ging. Sie griff nach einer Flasche Cognac. „Ist dir das recht?“
„Perfekt.“ Er nahm auf dem gestreiften Sofa Platz.
Sie schenkte einen Fingerbreit in zwei Schwenker. Auf dem Weg zum Sofa öffnete sie die Tür, die auf den Balkon führte. Lieblich duftende Nachtluft wehte in den Raum. „Es wird kühler“, sagte sie, während sie ihm sein Glas reichte und sichzu ihm auf das Sofa setzte.
„Das stimmt. Die Winter sind mild in El Bahar, aber die Sommer können unangenehm heiß sein, solange man sich nicht daran gewöhnt hat.“ Er nahm einen Schluck Cognac. „Am schönsten ist der Frühling, wenn alle Pflanzen blühen und ihr Duft herüberweht.“
Sie wollte schon sagen, dass sie sich darauf freute, als ihr einfiel, dass sie im Frühling nicht mehr in El Bahar sein würde. Es war Mitte Oktober. Wenn sie nur den erforderlichen Monat blieb, würde sie zu Thanksgiving zu Hause sein. Seltsamerweise machte der Gedanke sie traurig.
„Was hältst du von meinem Land?“
„Ich habe noch nicht genug gesehen, um mir eine Meinung bilden zu können. Der Palast und die Gärten sind natürlich wunderschön.“
„Ich würde dir gern einen Chauffeur
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