Märchen unter dem Wüsenhimmel
solltest du mit dem Historiker im Verteidigungsministerium sprechen“, schlug er vor. „Womöglich könnt ihr euch gegenseitig helfen.“
„Ja, das werde ich tun.“ Als Jamal unschlüssig in ihrem Zimmer stehen blieb, fragte sie nervös: „Musst du gleich wieder gehen? Ich meine, ich könnte Kaffee oder so bestellen. Es sei denn, du bist beschäftigt.“
„So sehr beschäftigt bin ich nicht.“ Er setzte sich auf das Bett.
Die Matratze sank unter seinem Gewicht ein, und Heather rutschte zu ihm hinüber. Er war ihr so nahe, dass sie seine Wärme und seinen herben, frischen Duft spürte. Es gefiel ihr.
„Wie hast du dich hier eingelebt?“, erkundigte er sich.
„Ich liebe es hier. Hier wollte ich immer sein.“
Er schenkte ihr ein Lächeln. „Du wolltest doch mit mir reiten gehen. Ich breche immer eine Stunde vor Sonnenaufgang auf. Möchtest du mich begleiten?“
„Sehr gern. Als ich noch klein war, ist mein Großvater immer mit mir ausgeritten.“
„Ich vergesse immer, dass du ganz allein in der Welt bist. Du hast niemanden außer mir, oder?“
„Ich habe Freunde“, versicherte Heather hastig. Sie war sich nicht sicher, ob er nur nett sein wollte oder ob sie ihm leid tat. „Und der König und Fatima sind sehr gut zu mir, seit mein Großvater tot ist.“
„Du hast deine Eltern verloren, als du noch sehr klein warst, oder?“
„Ich war vier. Ich erinnere mich kaum an sie. Sie kamen bei einer Überschwemmung während einer Safari in Afrika ums Leben. Ich war bei Nachbarn untergebracht. Mein Großvater war damals gerade in China, glaube ich. Er kam sofort nach Hause und versprach mir, dass er mich nie im Stich lassen würde.“
In einer tröstenden Geste strich Jamal ihr über die Wange. „Er hat sein Versprechen gehalten.“
„Das stimmt. Er hat ein Haus gekauft und mein Kinderzimmer in ein Paradies verwandelt. Ich hatte jede Puppe, die je gefertigt wurde. In den Ferien haben wir gemeinsam die Welt bereist. Als ich zwölf war, kamen wir überein, dass ich ein Internat besuchen sollte. Ich war in das schwierige Alter gekommen, in dem Mädchen eine weibliche Person in ihrem Leben brauchen. Außerdem wusste ich, dass er sein Leben nicht in einem Häuschen am Stadtrand verbringen, sondern Abenteuer erleben wollte.“
„Das klingt, als wärst du sehr reif für dein Alter gewesen.“
„Ich habe mich bemüht. Aber mir war nicht klar, wie hart es ihn getroffen haben muss, seinen einzigen Sohn zu verlieren. Da ich noch so klein war, konnte er seinen Kummer recht leicht vor mir verbergen. Er hat mich nicht einmal spüren lassen, dass er litt. Ich habe immer geglaubt, ich sei das Zentrum seines Universums.“
„Er war ein guter Mensch. Ich weiß, dass er unserem Land während des Zweiten Weltkriegs sehr geholfen hat.“
„Er hat mir einiges darüber erzählt, ebenso wie dein Vater.“
„Mein Großvater war deinem sehr ähnlich. Das haben wir gemeinsam.“ Er nahm ihre Hand und verschränkte die Finger mit ihren. „Ich habe mich aus vielerlei Gründen dem Wunsch meines Vaters nicht widersetzt, dich zu heiraten. Ich wusste, dass du dich in El Bahar wohl fühlen würdest. Du verstehst die Sitten und liebst das Volk. Du bist intelligent und geistreich, und du hast die wundervolle Fähigkeit, den Kronprinzen aus der Fassung zu bringen.“
Seine Worte lösten eine wohlige Wärme in ihr aus und ließen ihrer Wangen erröten. „Ich weiß nicht, warum ich Malik ärgere. Jedes Mal, wenn ich versuche, mich mit ihm auszusöhnen, wird es nur noch schlimmer.“
„Du neckst ihn. Er braucht das. Zu viele Leute nehmen ihn ernst. Ich hoffe sehr, dass er eine Frau findet, die ihm gewachsen ist und sich nicht von seiner Position einschüchtern lässt, wenn er wieder heiratet.“
„Das ist eine sehr hohe Erwartung.“
„Ich weiß. Aber ich habe dich auch gefunden. Er kann auch jemandem wie dich finden.“
Forschend musterte sie sein Gesicht. „Es tut dir wirklich nicht leid, dass wir verheiratet sind?“
„Keineswegs.“
„Das freut mich“, flüsterte sie.
Jamal beugte sich zu ihr. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Wollte er sie so küssen, wie er Honey geküsst hatte?
Doch er drückte die Lippen nur flüchtig auf ihre Wange, ließ ihre Hand los und stand auf. „Ich lasse dich jetzt wieder an die Arbeit gehen.“
„Danke für die Diskette“, sagte sie und hoffte, dass er ihre Enttäuschung nicht merkte.
Er ging ohne ein weiteres Wort. Heather krauste die Nase. Lag es an ihr? War sie
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