Märchen unter dem Wüsenhimmel
Treffpunkt der Nomadenstämme gedient hatte, war zu einem internationalen Handelszentrum geworden. Der alte Platz war noch immer von Ständen übersät, die von Obst und Fleisch über Messinglampen und gefälschte Kunstwerke für ahnungslose Touristen alles Erdenkliche feilboten. Doch die Straßen ringsumher hatten sich zu einem supermodernen Einkaufszentrum entwickelt, das Modehäuser aus der ganzen Welt beherbergte.
Verkäufer boten lautstark ihre Waren an. Kinder spielten unter Gelächter und Geschrei zwischen den Buden. Musik dröhnte aus tragbaren Radios. Ein einsamer Gitarrist saß auf einer Bank und besang Wein aus Wassermelonen.
Langsam drehte Heather sich im Kreis und betrachtete die Farbenvielfalt. Das Blau des Himmels, die leuchtenden Früchte, die dunklen Augen der Einheimischen, die bunten Hemden der Touristen, die gestreiften Markisen über den Ständen.
Das Kopfsteinpflaster unter ihren Füßen war glatt und blank gescheuert von den Tausenden von Besuchern, die seit Hunderten von Jahren darauf wandelten. Abgesehen von modernen elektronischen Geräten wurden dieselben Waren wie Generationen zuvor angeboten.
„Was denkst du?“, frage Jamal.
„Dass mein Großvater mich oft hierher mitgenommen hat. Er hat gesagt, es sei das Herz von El Bahar. Wie der König sei der souk ein Symbol für das Volk. Solange die Leute hierher kommen können, wie ihre Eltern und all ihre Vorfahren zuvor, können sie Hoffnung für die Zukunft hegen.“
„Dein Großvater war ein weiser Mann.“ Er drückte ihre Hand. „Komm, sehen wir uns um.“
Er zog sie mit sich zwischen den Buden hindurch. Er kaufte ihr Obst und die schönsten Orchideen, die sie je gesehen hatte. Behutsam hielt sie die Blüten im Arm und fragte sich, wie etwas so Zartes in einem derart strengen Klima überleben konnte.
Sie bewunderten Orientteppiche und goldene Armreifen, schauten einem Jongleur zu und kosteten die verschiedensten Snacks.
Schließlich spazierten sie zur Boutique von Madame Monique zurück. Der klimatisierte, elegant eingerichtete Ausstellungsraum war wie die Fassade in Pink und Gold gehalten und enthielt eine große Auswahl kunstvoll drapierter Kleidungsstücke.
„Eure Hoheit, wir sind entzückt, Sie hier begrüßen zu dürfen“, verkündete eine Frau mit unangenehm schriller Stimme. „Ihre Großmutter und die wundervolle Prinzessin Dora pflegen ebenfalls hier zu kaufen.“
Die Frau war groß, schlank, Anfang vierzig und ganz in Schwarz gekleidet. Ihre Figur wies keinerlei sichtbare Rundungen auf, und ihr Gesicht war weiß wie Kalk. Dennoch strahlte sie eine Eleganz aus, durch die Heather sich noch unscheinbarer als gewöhnlich vorkam.
„Prinz Jamal, Prinzessin Heather, wir fühlen uns sehr geehrt.“ Madame Monique verbeugte sich tief, ebenso wie die drei Verkäuferinnen hinter ihr. „Wir stehen ganz zu Ihren Diensten. Was würde der Königlichen Hoheit Freude bereiten?“
Zu gehen, dachte Heather. Sie fühlte sich völlig fehl am Platze und wusste nicht, wie sie auf diese ehrerbietige Begrüßung reagieren sollte. Denn bisher hatte sie noch nie in ihrer Rolle als Prinzessin in der Öffentlichkeit auftreten müssen.
Jamal half ihr aus dem Dilemma, indem er vortrat und Madame die Hand schüttelte. Dann legte er einen Arm um Heather und zog sie an sich. „Ich bin ein höchst nachlässiger Ehemann und habe viel zu lange gewartet, meine Braut in Samt und Seide zu hüllen. Deshalb bin ich hier, um es gutzumachen.“
Eine gute Rede, dachte Heather.
Madame beäugte sie kritisch. „Sie ist eine zarte Blume.“
„Das ist sie fürwahr“, stimmt er zu. „Ich möchte Kleider, die ebenso schön sind wie meine Frau.“
Heather blinzelte. Hatte sie richtig gehört? „Natürlich, Eure Hoheit.“ Madame Monique verbeugte sich erneut und verschwand mit ihren Angestellten im Hinterzimmer.
„Ich mag vieles sein“, sagte Heather trocken, „aber ich bin keine zarte Blume.“
„Für mich bist du es“, entgegnete Jamal.
Meinte er es ernst? Sie war intelligent und kompetent und vermochte den Kronprinzen einzuschüchtern, aber offensichtlich sah Jamal sie in einem anderen Licht. Vielleicht bestand doch Anlass zu der Hoffnung, dass er sich für sie und nicht nur für Honey interessierte.
Madame und die Verkäuferinnen kehrten mit unzähligen Kleidungsstücken beladen zurück und entführten Heather in eine Umkleidekabine, die so groß wie ein kleines Haus war.
Sie probierte Tageskleider und Abendkleider an, Hosen und Röcke,
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