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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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bedang sich nur aus, etwas später zu kommen, um vorher auszuruhen. In Wahrheit wollte er beim Klang der Glocken allein unter dem fallenden Schnee sein. Elben können, wie man weiß, über lockeren Schnee dahineilen wie andere über gebahnte Straßen. Jedermann glaubte ihm, daß sein Auto im Schnee steckengeblieben war, als er endlich eintraf. In Wahrheit war er den ganzen Weg zu Fuß gegangen.
    Man hatte bereits Reden gehalten und tapfer getrunken, und von der inneren Einkehr des Anfangs war kaum noch etwas zu merken. Die Kerzen flackerten im Luftzug, als Klinger eintrat, und man führte ihn unter Applaus zu seinem Platz. Er stutzte, als er sah, daß man ihn ehrenhalber an das obere Ende der Tafel gesetzt hatte, denn ihm gegenüber hockte im gleichen schwarzweißen Habit, das er selbst trug, gebeugt über Glas und Karaffe mit gebranntem Wasser, Exzellenz Darenna und schielte kurz zu ihm auf, um seinen knappen Gruß ebenso gemessen zu erwidern. Neben ihm saß still Leontine in einem weißen Kleid, um die Stirn ein blaßrotes Band, und erwiderte sein »Guten Abend« nur mit einem Neigen der Augenlider.
    Das Mal über Klingers Herzen brannte so, daß er kaum die Hand erheben konnte. Er biß sich auf die Lippen. Als er den spöttischen Blick Darennas auf sich fühlte, nahm er sich zusammen und trank hastig ein paar Gläser seines Lieblingsweins, den ihm die zuvorkommenden Stadtväter hingestellt hatten.
    Weiter unten am Tisch klang Lachen, das Wachs der Lichter tropfte auf das Tischtuch, und er sah mit Mißvergnügen, wie sein Gegenüber mit dürren Fingern darin herumrührte, bizarre Figuren und kabbalistische Symbole formte, sie an der Flamme schmelzen ließ und umwandelte.
    Wider Willen zog es seine Blicke an, wie der Magier (seinem gereizten Sinn nach) die Materie quälte, und obgleich es sein Leiden vermehrte, zwang er sich, zu der bleichen Löwenjungfrau hinüberzusehen. Ihre sanften ungeschminkten Lippen waren geöffnet und zitterten. Zwischen den Fingern drehte sie ihr geleertes Glas.
    Er nahm die grünliche Flasche, um ihr von seinem Wein einzugießen, aber blitzschnell legte sich Darennas geäderte Hand über das Gefäß, und die quäkende Stimme bemerkte: »Leontine trinkt keinen Wein.«
    Klinger setzte die Flasche hart ab. »Kann mir Leontine das nicht selber sagen?« fragte er grimmig. »Nehmen Sie Ihre Finger da weg und beschäftigen Sie sich mit Dingen, die Ihrem Naturell näherliegen. Zerstören Sie Wachslichte, Exzellenz, in Ermangelung von größeren Dingen.«
    Er goß sich erneut ein. Das Mädchen sah nicht zu ihm hin. Vor seinen Augen verschwammen das blasse Gesicht und die Kerzen. »Leontine, Geliebte«, sagte er verzweifelt und tonlos. »Tausendfaches Feuer verbrennt mich deinetwegen.« Er verstummte.
    Darennas Gelächter traf ihn wie ein Peitschenschlag. »Bravo, was für ein Mann! Standhaft, duldsam und verschwiegen. Und so gar nicht wehleidig. Ein echter Vertreter des Schönen Volkes fürwahr.«
    Klinger wollte entgegnen, aber die Exzellenz hob den Finger. »Ich empfehle Ihnen aufzumerken, falls es Ihnen der genossene Wein noch erlaubt. Soviel ich höre, preist man wieder einmal Ihre begnadete Sangeskunst da vorn am Präsidium des Tisches.«
    In der Tat wurde ein freundlich-ehrfurchtsvoller Toast auf Klinger ausgebracht, und er dankte mit gequältem Lächeln.
    Es war zu erwarten gewesen, daß man als nächstes Darenna hochleben ließ, als den »Genius und Wohltäter der Stadt«. Der Sänger verschränkte finster die Arme und trank nicht mit. Der Magier lächelte voller Hohn. »Es scheint, Sie halten mich für etwas ganz anderes«, stichelte er.
    »Allerdings, verehrter Salamander«, sagte Klinger schneidend. »Wenn Sie es genau wissen wollen, für das Gegenteil, und daß all diese braven Leute Sie arglos feiern, zeigt mir nur, daß das Menschenvolk entweder noch vergeßlicher oder - noch verlogener als das meine ist.«
    »Sie meinen?«
    »Ich meine, heute kneten Sie nur an Wachslichtern herum, aber einstmals bereiteten Sie sich ganz andere Fackeln zu Ihrem Vergnügen.«
    Um die beiden war man aufmerksam geworden, die Gespräche verstummten, und nach Klingers letztem Satz herrschte atemlose Stille im Raum. Ein leiser, schmerzlicher Laut kam von Leontines Lippen. Das war zuviel für den geplagten Elben. Er verlor seine mühsam bewahrte Fassung und sprang auf. Alle gewahrten die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war. Der Schnee, den die Wärme des Raumes auf seinem Haar hatte schmelzen lassen,

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