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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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nicht vor, als Mordbrenner dazustehn, und einzig um ihretwillen bin ich bereit, vorzuführen, was ich tat, und mich zu rechtfertigen.«
    Er winkte die beiden mit gebieterischer Geste zu sich an den seltsamen Tisch mit den Gläsern. Dann schnippte er einmal kurz mit den Fingern gegen das große Fenster hin. Klinger entfuhr ein Ausruf des Erstaunens, er machte einen Schritt auf die Scheibe zu.
    »Bleiben Sie hier«, sagte der Magier trocken, »von hier ist es am deutlichsten zu sehen.«
    Der Schneefall schien verschwunden. Statt dessen war das Bild der Stadt dort hinten verwandelt. Verdunkelt, aber klar erkennbar ragte die große Kirche, deren Trümmer noch heute wahrzeichenhaft über der Stadt sich erheben, unzerstört in den Abendhimmel, Schnee auf Kuppeln und Simsen.
    »Das«, sprach Darenna gelassen, als erläutere er ein Lichtbild, »ist eine Fata Morgana, eine Luftspiegelung, losgelöst von ihrem Urbild und in die Zeit geschickt. Alles, was existiert, besteht, nichts ist auslöschbar. Das Bild bleibt. Meine Kunst besteht nur darin, daß ich die Bilder rufen kann, wann ich will. So wäre ich auch in der Lage, Ihnen den Ablauf dieser Entsetzensnacht vorzuführen, als stünden wir dabei. Aber keine Angst, ich bin kein Liebhaber von Horrorfilmen, und es würde nichts nützen, denn es beweist nichts. Ich will Ihnen nur sagen: Ich könnte es.« Er schnippte wieder mit den Fingern gegen das Fenster, das Bild erlosch.
    »Etwas anderes will ich vorführen, etwas, wozu der fallende Schnee von Nutzen ist.« Er hauchte über die Gläser hin, die den Kupferstich umstanden, und sogleich begannen die Flämmchen ihren rauschenden Gesang, die silbernen Nadeln vibrierten im Papier und schickten Funken hin und wider, es zitterte in den gespannten Haaren und feinen Drähtchen, der Zaubertisch lebte.
    Leontine und Klinger schrien gleichzeitig auf. Über dem sanft funkelnden Bild schien sich plötzlich ein dunkler Rauch zu erheben, von dem eine große Macht der Vernichtung ausging. Es ballte sich zusammen, ein Fliegendes, war es ein Ungeheuer der Vorzeit oder eine Erfindung derer, die Entsetzen nutzten, um über die Menschen zu herrschen? Jedenfalls näherte es sich dem Bild der Stadt von Nordwesten her und zog rasch heran, geflügeltes Wesen der Nacht, umsprüht von roten Blitzen, und so groß war die Bedrohung, daß Leontine den Arm des Vaters umklammerte und rief: »Rette die Stadt!«
    Der Magier machte sich frei und wischte mit den Fingern über den Tisch. Das Blendwerk erlosch, Klinger fuhr sich mit der Hand über die Augen, während der andere weitersprach: »Das sah ich an jenem Abend. Und ich sagte mir selbst, da kein anderer an meiner Seite war: Rette die Stadt! Denn was da auf mich zukam, war furchtbar und ein anderes Feuer als das, dem ich diene. Das Feuer der Finsternis hat nichts gemein mit der Flamme des Ursprungs, der ich, Salamander, vertraut bin. Aber meine Kraft reichte nicht aus. Sie reichte nur bis zum Strom. Der Schild weißen Feuers, den ich über die Hügel ausbreiten konnte, versagte vor dem Ansturm da draußen, als neun Minuten nach zweiundzwanzig Uhr der Leib des Ungeheuers barst. Was ich aber tat, war dieses.«
    Darenna stand in der Mitte des Raums. Seine Finger berührten die gespannten Drähte. Über den Köpfen der drei öffnete sich das Dach der silbernen Kugel, wich zurück vor einem sich aufwölbenden Ball von Strahlen, in deren Mittelpunkt der Magier sich befand, und vor diesen Strahlen schmolzen die Schneeflocken, zer-sprühten zu feinen Regentropfen, verdampften nebelgleich, vor den Augen breitete sich der klare winterliche Sternenhimmel aus.
    »Am Fenster!« sagte Darenna mit gepreßter Stimme.
    Sie sahen hinaus. Über der Stadt flohen die letzten Nebel davon. Das Schneegestöber zog ab in Richtung Süden. Die Luft lag still und durchsichtig über dem Strom.
    »Genug der Vorstellung!« krächzte der Magier. Er ließ die Drähte fahren, das Dach schloß sich. Und während er eben noch hoch aufgerichtet und gleichsam lodernd im Raum gestanden war, taumelte er nun und rutschte auf dem Boden zusammen. Leontine umfing ihn mit den Armen. »So tat ich in jener Nacht«, sagte er leise. »Nur daß nicht Schnee vom Himmel fiel.«
    Er stand auf und ließ sich von dem Mädchen zu dem Lehnstuhl führen.
    Klinger trat herzu und beugte langsam das Knie. »Verzeihung, Hoher Magier«, sprach er.
    In Darennas Augen trat ein böses Funkeln. »Verzeihung ist ein feines Wort«, höhnte er. »Ich darf dir verzeihen, und

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