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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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die Stimme kam. »Entschuldigung, es war doch nur eine Kostprobe.«
    »Schon gut«, erwiderte die Stimme. Aus der Dunkelheit löste sich eine Gestalt. »Es ist schändlich, diesen Wein zu pflücken, ehe er reif ist.«
    Der Mann, der Dodo entgegentrat, war hochgewachsen und fast hager zu nennen. Er trug Reitstiefel und eine enge, an den Schultern gepolsterte Jacke, deren geschlossener Stehkragen seinem Aussehen Strenge verlieh. Der Bart ließ das Gesicht finster erscheinen, nur die Augen blitzten selbst in der Nacht hell, als brenne da ein inneres Feuer.
    »Verzeihen Sie nochmals«, haspelte Dodo. »Ich wußte nicht, daß Ihnen der Weinberg gehört.«
    »Wessen er ist, entscheidet doch nichts«, antwortete der Fremde ruhig. »Vielleicht ist es der meine. Ja, wenn man etwas hegt und pflegt, hat man wohl auch einen Anteil daran. Ich könnte also sagen, daß er mir gehört. Aber eigentlich gehöre ich dann auch ihm. Er gibt mir Trauben und guten Wein, und ich gebe ihm Pflege.«
    »Sie sind merkwürdig«, sagte Dodo, dessen Furcht allmählich in Neugier umschlug. »Wenn ich etwas besitze, so weiß ich es doch!«
    »Ja?« fragte der andere zerstreut. »Dergleichen ist mir unwichtig geworden. Vielleicht bin ich zu alt.«
    »Zu alt?« Dodo hätte den Fremden auf etwa vierzig Jahre geschätzt.
    »In meinem Leben«, fuhr der Fremde fort, »habe ich so manches besessen und wieder verloren. Aller Besitz ist uns nur geliehen und vergeht. Beständiger als er sind die Gedanken, wenn sie auch flüchtig scheinen mögen. Sie leben im Tun der Menschen, in ihren Werken und in ihren Liedern immer fort. Sie hinterlassen Spuren, seien sie auch noch so schwach. >Das Alte wird nicht verdunkelt noch Wurzeln der Tiefe erfrorn<«
    »Ach«, stöhnte Dodo, dem die Rede des Fremden immer verworrener erschien. »Elbenverse! Jetzt ist mir alles klar. Hättet Ihr das nicht eher sagen können, Maestro, daß Ihr einer von denen seid? Nichts gegen die Elben, nein, nein. Aber nun wundern mich Ihre seltsamen Vorhaltungen nicht mehr!« Er winkte ab.
    »Darf ich dich einladen?«
    »Wozu?« fragte Dodo verwundert.
    Der Fremde führte ihn auf eine Weinbergterrasse, von der aus man den Blick über die Stadt und den träge fließenden, dunklen Strom hatte. Dort hieß er Dodo, sich gleich ihm niederzusetzen. Er reichte dem Jäger eine Lederflasche, die er vom Gürtel nahm. »Trink auf unser und das Wohl der Stadt!«
    Die Flasche enthielt einen leichten, würzigen Wein, der blütengleich duftete und auf der Zunge den Geschmack von Honig hinterließ.
    »Es ist Wein von den Reben dieses Hanges«, sagte der Fremde, nachdem er ebenfalls getrunken hatte. »Und wenn du einen feinen Gaumen hast, wirst du verstehen, daß ich dir vorhin ein wenig gram war.«
    Dodo nickte und streckte die Beine von sich. Sein Sinn war heiter, und fast hätte er vergessen, was ihm mit Lindo widerfahren war.
    Aber da fragte der andere: »Und was führte dich hierher?«
    Dodos Unbekümmertheit verflog. Er überlegte, was er antworten sollte, und sagte vorsichtig: »Eine mißglückte Jagd.«
    Der Fremde lachte hell auf, ein ganz und gar elbisches Lachen, heiter und verletzend. »Ach, der bist du! Hättest du das nicht eher sagen können?« rief er, und Dodo entging keineswegs, daß der andere seine Worte zurückgab. »Tar-Ciryatan sprach kürzlich von dir. Wenngleich dir die Jagd wohl weniger glückt, legst du ein verblüffendes Geschick an den Tag, den Großen der Erstgeborenen zu begegnen!«
    Er stand auf und verbeugte sich gemessen-feierlich vor Dodo. »Ich bin Valen-Esgal. Früher nannte man mich den Meister musici Henricus Sagittarius. Doch anders als Tar-Ciryatan, der, wenn ich mich recht entsinne, unter dem Namen Klinger noch unter den Sterblichen geht, habe ich mich von den Menschen zurückgezogen.«
    »Und einst?« hauchte Dodo, dem die Erscheinung des Elbenfürsten Ehrfurcht gebietend und unheimlich vorkam.
    »Einst«, gab er zurück und sandte den Blick weit über die Stadt, »einst tat ich Ähnliches wie Tar-Ciryatan. Was ich zu sagen hatte, setzte ich in Musik, ich schrieb es auf in Noten. Heute zählt man mich wohl unter die alten Meister. Ich versuchte in dunkler Zeit mit meinen Waffen das, was Darenna in einer schlimmen Nacht mit mächtigeren Mitteln vollbrachte: Menschen zu helfen in ihrer Not. Es ist lange her, aber meine Musik hat jene Jahre der Brände überdauert, die du nicht kennst; es waren ihrer dreißig. Mögen sie nie wiederkehren.« Er sah ins Tal, und auch Dodo

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