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Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67

Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67

Titel: Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: JazzyBee Verlag Jürgen Beck
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Tochter. Aber je mehr sie Marlenchen liebte, je mehr haßte sie ihren Stiefsohn, ob er gleich so weiß wie Schnee, und so roth wie Blut war. Wo er ging und stand, da war er ihr im Wege; immer hatte sie an ihm zu schelten und zu tadeln, und wenn sie ihm ein Loch zustopfen, oder ein neues Kleidungsstück anschaffen sollte, so ging es nicht ohne Stöße und Schläge ab. Wenn Marlenchen Honigsemmel bekam, so mußte er trocken Brot essen, und die Mutter sagte: »Wenn er nur erst todt wäre, so könnte meine Tochter Haus und Hof und das ganze Vermögen allein erben.«

     
    Einmal war er in der Schule, da stieg die Mutter auf den Boden über der Stube, und Marlenchen ging ihr nach in die Kammer. Daselbst stand eine große Lade mit einem schweren, eisernen Deckei.

     
    »Gieb mir einen Apfel, Mutter!« sagte Marlenchen. Da schloß die Mutter die Kiste auf, und langte ihr einen Apfel heraus. – »Soll Brüderchen nicht auch einen haben?« fragte Marlenchen. Das verdroß die Mutter, und sie nahm ihrer Tochter den Apfel wieder aus der Hand, und sagte: »Wenn dein Bruder aus der Schule kommt, so sollt ihr Beide einen haben.«

     
    Da ging Marlenchen hinunter, und wollte sehen, ob der Bruder käme. Die Mutter aber blieb auf der Kammer, und sah aus dem Fenster, ob er da wäre; und als sie ihn kommen sah, winkte sie ihm, daß er herauf käme.

     
    Als er nun in die Thüre trat, schloß die Mutter die Lade wieder auf, wo die rothen Aepfel lagen. Da bat er sie, daß sie ihm einen Apfel gäbe. »Suche dir nur einen aus!« sprach sie; und als sich das Kind in die Lade hineinbückte, da schlug sie den schweren eisernen Deckel über ihn zu, der ihm den Kopf abschlug, daß er gerade in die Kiste unter die rothen Aepfel fiel.

     
    Nun lief ihr die Angst durch die Glieder, und sie dachte: Ach, könnte ich das von mir bringen! – Als sie sich ein wenig wieder erholt hatte, nahm sie ein weißes Tuch aus der Schublade, setzte den Kopf wieder auf den Hals, und band das Tuch so herum, daß man nichts sehen konnte. Hierauf nahm sie ihn auf den Arm, trug ihn hinunter, und setzte ihn auf einen Schemel auf dem Hofe vor die Thür, den Apfel aber steckte sie in seine Hand. Das machte sie so heimlich, daß es niemand sah.

     
    Hierauf ging sie in die Küche an den Feuerheerd, und rührte in dem Kessel. Da kam Marlenchen in die Küche, und sagte zu ihrer Mutter: »Ach, Mutter, wie habe ich mich erschrocken! Brüderchen sitzt vor der Thüre, ganz leichenblaß, und hält einen Apfel in der Hand. Ich habe ihn um den Apfel gebeten, aber er wollte ihn mir nicht geben, und antwortete nicht, da wurde mir recht graulich zu Muthe.« – »Geh nur noch ein Mal zu ihm hin,« antwortete ihr die Mutter, »und wenn er dir den Apfel nicht geben will, so nimm die Hand, und gieb ihm eine Ohrfeige!«

     
    Da ging Marlenchen wieder hinaus, und sagte: »Bruder, gieb mir den Apfel!« Und als er nicht antwortete, so schlug sie ihm an die Ohren, daß der Kopf herunterfiel. Darüber erschrak sie, und fing an zu weinen und zu heulen, und lief in die Küche zu ihrer Mutter, und rief: »Ach, Mutter, ich habe meinem Brüderchen den Kopf abgeschlagen!« und wollte sich nicht zufrieden geben.

     
    Da sprach die Mutter: »Ei, was hast du gemacht! Aber es ist nun einmal nicht zu ändern. Darum schweige nur still, daß der Vater und niemand etwas merke; wir wollen Brüderchen wegbringen, und sauer kochen.« Und damit holte sie das todte Kind in die Küche, und hackte es klein, that die Stücke in den Kessel, und kochte sie sauer. Marlenchen aber stand dabei, und weinte, daß die Thränen in den Kessel fielen, und das Fleisch kein Salz brauchte.

     
    Mittlerweile war es Mittag, und der Vater kam nach Hause, und setzte sich an den Tisch. Da trug die Mutter das, in Sauer gekochte, Fleisch des Sohnes auf.

     
    Als sie nun Alle um den Tisch saßen, fragte der Vater: »Wo ist denn mein Sohn?« Da weinte Marlenchen, und konnte nicht antworten. Aber die Mutter sprach: »Er ist über Land gegangen zu seinem Oheim; da will er eine Zeit lang bleiben.« – »Das nimmt mich Wunder,« antwortete der Vater; »er hat nicht um Erlaubniß gebeten, und nicht Abschied von mir genommen.« – »Laß nur gut seyn,« sprach die Mutter, »er ist dort gut aufgehoben, und wird bald wieder kommen. Lange du nur zu, und iß dich satt!«

     
    Da ließ sich der Vater zureden und aß, und es schmeckte ihm über die Maßen wohl; aber er wußte nicht, daß er das Fleisch seines Sohnes äße. Er verzehrte

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