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Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67

Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67

Titel: Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: JazzyBee Verlag Jürgen Beck
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zu öffnen, um zu erfahren, was darin enthalten seyn möchte. Kein Essen oder Trinken wollte ihr mehr schmecken, und des Nachts konnte sie davor nicht schlafen. Gewiß hätte sie sich schon am andern Tage hineingewagt, hätte nicht Schwester Aennchen sie gewarnt und abgehalten. Doch am dritten Tage konnte sie ihre Neugier nicht länger bezwingen. Sie nahm heimlich das Schlüsselchen, und trat mit pochendem Herzen an die geheimnißvolle Kammer. Da dachte sie noch einmal an das Verbot des Königs und seinen angedrohten Zorn; doch die Versuchung war so groß, und der Gedanke: wer wird es sehen oder verrathen? gab ihr endlich Muth, daß sie alle Bedenklichkeiten überwand, und den Schlüssel in das Schloß steckte, und leise, leise die Thüre öffnete.

     
    Anfangs sah sie gar nichts, denn es war ziemlich dunkel in dem Gemache; bald aber bemerkte sie, wie der ganze Boden mit geronnenem Blute bedeckt war, und längs der Wand eine Menge Leichname hingen. Das waren Alles Weiber von Blaubart, die er nach einander geheirathet, und hernach gemordet hatte.

     
    Bei diesem Anblick erschrak sie so heftig, daß sie die Thüre gleich wieder zuschlug, aber der Schlüssel sprang dabei heraus, und fiel in das Blut. Geschwind hob sie ihn auf, und wollte das Blut abwischen; aber es war umsonst, sie mochte waschen und reiben, so viel sie wollte, der rothe Fleck wich vor keinem Waschen und Scheuern. Endlich am Abend, nachdem sie Alles vergeblich versucht hatte, legte sie ihn in's Heu, das sollte die Nacht das Blut ausziehen.

     
    Tages darauf kam Blaubart zurück, und das Erste war, daß er die Schlüssel forderte. Trudchen gab sich alle Mühe, sich so viel möglich unbefangen und fröhlich zu stellen, und brachte die Schlüssel. Blaubart nahm sie, zählte sie nach, und sprach: »Hier fehlt einer! Wo ist der Schlüssel zu der verbotenen Kammer?« Dabei sah er ihr scharf in die Augen. Sie aber zitterte an allen Gliedern, und wurde blutroth im Gesichte, und stammelte ängstlich: »Ich weiß nicht, er muß oben liegen; ich will ihn hernach suchen.« – »Schaff' ihn den Augenblick,« schrie Blaubart mit fürchterlicher Stimme, »ich muß ihn gleich haben!« Da erschrak Trudchen abermals, und sagte: »Ich will dir nur gestehen, ich habe den Schlüssel im Heu verloren.« Mit zürnenden Blicken entgegnete Blaubart: »Du hast ihn nicht verloren, versteckt hast du ihn im Heu, damit er die rothen Flecke verlieren soll. Hol' ihn den Augenblick, oder ich schleppe dich in die Blutkammer, wo es dir gehen soll, wie den Andern!«

     
    Da holte sie den Schlüssel, welcher noch voller Blutflecke war, und gestand Alles, und beschwor ihn mit allen Zeichen der aufrichtigsten Reue, ihr nur dies Mal zu vergeben. Er aber blieb hart, wie ein Stein, und war durchaus nicht zu erweichen. »Vorwärts, hinauf in die Kammer!« schrie er. »Bereite dich zum Tode, denn du mußt sterben!« Bebend vor Angst umfaßte sie seine Kniee, benetzte sie mit heißen Thränen, und bat um ihr Leben. Aber er riß sich los, ergriff ein großes Messer, und schrie wieder: »Vorwärts auf die Kammer!«

     
    »Weil Euch denn nichts erweicht,« sagte hierauf Trudchen, und nahm allen ihren Muth zusammen, »so vergönnt mir wenigstens noch eine Stunde Zeit, daß ich bete, und mich zum Tode vorbereite.«

     
    »Wohlan, es sey!« erwiederte Blaubart. »Geh' auf dein Zimmer und bete, und bereite dich zum Tode; aber nur eine halbe Stunde, und keine Minute mehr.«

     
    Nun war kein Augenblick für die Arme zu verlieren. Sie lief eiligst hinauf zu ihrer Schwester Aennchen, fiel ihr um den Hals, und erzählte ihr weinend und schluchzend ihr Unglück. Da gedachte Aennchen der Pfeife, die ihr die Brüder gegeben, trat auf den Erker vor dem Fenster, und stieß drei Mal hinein, so laut sie nur konnte, daß die Luft erbebte, und der Wiederhall vom Walde zurückscholl. Trudchen aber warf sich auf die Kniee, und betete, während ihre Schwester auf dem Erker blieb, und in's Feld schaute, ob die Brüder kamen.

     
    Jetzt hatte Trudchen ausgebetet, und fragte: »Anna, Schwester Anna, siehst du nichts?« Und Aennchen antwortete:

     
      »Ich seh' die Sonne funkeln,

      Und den Wald dunkeln,

      Sonst seh' ich nichts!«

     
    Voller Angst betete Trudchen abermals, und als sie bis zum Amen gekommen war, fragte sie wieder: »Anna, Schwester Anna, siehst du nichts?« Und Aennchen antwortete:

     
      »Ich seh' die Sonne funkeln,

      Und den Wald dunkeln,

      Sonst seh' ich nichts!«

     
    Da rief

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