Märchensommer (German Edition)
brauchte nur eine Sekunde, um mich zur Aufgabe zu verleiten. Ich sank tiefer in seine Arme. Sein wunderbarer Duft fing mich ein und trug mich auf leisen Flügeln davon.
„In deinem Fall“, flüsterte er mir liebevoll ins Ohr, „wäre es wohl so wie ein freier Fall vom Himmel.“
Trotz der sonderbaren Schläfrigkeit, die gerade über mich kroch, hörte ich mich selbst antworten: „Mit dir würde ich auch von da oben springen.“ Und ich meinte jedes Wort so, wie ich es sagte.
Es musste an den Nachwirkungen und dem Schock der Verbrennung liegen, dass ich plötzlich so erschöpft war. Meine Augen fielen zu und ein Gähnen unterbrach meinen Gedankenfaden.
„Und doch vertraust du mir nicht genug, um mich zu lieben.“ Seine ruhige Stimme kam von weit weg, als alles um mich herum dunkel wurde.
24. Es fehlte ein Kapitel
LANGSAM WECKTE MICH das monotone Geräusch des Motors. Ich lehnte mit dem Kopf gegen das kalte Glas der Fensterscheibe. Mir dröhnte der Schädel, als wir über das Kopfsteinpflaster der Auffahrt in die Garage fuhren, und mir entwich ein langes Stöhnen. Ich drehte mich zur Fahrerseite um.
Julian hinter dem Steuer zu finden war etwas verwirrend. Ich dachte angestrengt nach, warum wir um diese Zeit gemeinsam unterwegs waren, doch ich konnte mich nicht erinnern überhaupt das Haus verlassen zu haben. Draußen war es bereits dunkel und nur die Armaturen des Autos spendeten ein klein wenig Licht. Wir waren alleine. Zudem wirkte Julian angespannt.
„Bin ich eingeschlafen?“ Ich rieb mir die Augen und merkte da erst, dass etwas um meine rechte Hand gewickelt war. Ein Verband, der mich daran hinderte, meine Finger zu spreizen. „Was ist denn passiert?“
Julian drehte den Schlüssel in der Zündung und das Brummen des Motors verstummte. Die Armaturenlichter gingen aus. Wir saßen im Dunkeln. „Du warst bewusstlos“, sagte er leise und drehte sich endlich zu mir. Bei seinem unheilvollen Ton verkrallten sich meine Zehen in meinen Stiefeln.
„Ich wurde ohnmächtig? Aber wieso? Und wo waren wir überhaupt?“ In Gedanken durchlief ich schnell die Ereignisse des Tages. Ich hatte den ganzen Nachmittag Fenster geputzt. Albert hatte versucht mich mit einer uralten Duellpistole zu erschießen, weil ich keine brauchbare Information über Julian im Internet gefunden hatte. Und eine riesige Kartoffel hatte mich k.o. geschlagen.
Wow, war bei mir etwa eine Sicherung durchgeschmort?
„Du hast dir die Hand mit kochendem Wasser verbrannt, als du Marie in der Küche geholfen hast. Erinnerst du dich nicht?“
Nein. Und was war das überhaupt für ein unsicherer Ton in seiner Stimme?
Ich schüttelte den Kopf. Der Nebel, der sich darin breitgemacht hatte, ging mir langsam auf die Nerven. Mir kam es vor, als hätte ich ein ganzes Kapitel des heutigen Tages verloren. Einfach so.
„Ich hab dich ins Krankenhaus gefahren, damit sie deine Hand verarzten konnten?“ Da! Schon wieder dieser fragende Unterton. Wollte er mir erzählen, was passiert war, oder mich hier zu etwas überreden?
Ich schüttelte wieder den Kopf. Nichts von allem, was er sagte, kam mir bekannt vor.
„Der Arzt hat dir eine antibakterielle Salbe auf die Haut aufgetragen und deine Hand einbandagiert. Der Verband muss für die nächsten zwei Tage dran bleiben. Danach sollte deine Haut so gut wie neu sein. Es sollten keine Narben zurückbleiben.“
„Aha.“ Wenn ich mir die Hand wirklich so grausam verbrannt hatte, wollte ich sie im Moment wahrscheinlich sowieso lieber nicht sehen. „Und wann genau bin ich weggekippt?“
„Auf dem Nachhauseweg. Nachwirkungen des Schocks … vermutlich.“ Er zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und nahm ein Geschirrtuch, das aus irgendeinem Grund in der Mittelkonsole lag. „Es ist ganz normal, dass du dich an nichts mehr erinnerst, was passiert ist, kurz bevor du das Bewusstsein verloren hast. Die Erinnerung kommt wahrscheinlich niemals zurück.“ Im Gegensatz zu vorhin klang er nun sehr resolut. Als er ausstieg, folgte ich schweigend. Er wartete vor der Eingangstür auf mich. „Der Arzt hat dir auch ein Medikament gespritzt. Du wirst also zumindest keine Schmerzen haben.“
Er hatte Recht. Ich spürte rein gar nichts in meiner Hand. Nur der straffe Verband störte mich ein wenig.
Julian schloss die Tür auf, stieß sie nach innen auf und ließ mich vorausgehen. Alle drei Mitglieder meiner Familie—und der Hund—stürmten auf mich zu, als ich den Flur betrat. Sie standen um mich rum und
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