Märchensommer (German Edition)
ist.“
„Was willst du denn hören?!“, schrie er mich an und kam dabei um die Motorhaube herum.
„Die Wahrheit, in Gottes Namen!“, schrie ich zurück. Ich fühlte mich gerade etwas eingesperrt mit dem Rücken gegen die Autotür gepresst und Julians zornigem Gesicht genau vor meinem. „Vielleicht fangen wir erst mit den einfachen Dingen an. Wie lautet dein Nachname? Oder wo genau kommst du her? Ach ja, und dann wäre da noch die Frage: Wie zum Teufel hast du meine Hand geheilt ?!“
Julian stützte seine Hände links und rechts neben meinem Kopf gegen das Dach des Geländewagens. Für mich gab es gerade kein Entkommen mehr. Er ließ den Kopf hängen. Seidig blonde Strähnen fielen ihm in die Stirn und bettelten förmlich darum, von mir zur Seite gestreift zu werden.
Ich ballte meine Hände hinter dem Rücken zu Fäusten und blieb standhaft. „Warum sagst du es mir nicht?“
„Ich kann nicht.“
„Kannst du nicht oder willst du nicht?!“
Julian hob den Kopf. Das vertraute Blau in seinen Augen verschwand plötzlich und wurde zu einem geheimnisvollen Grau. Ebenso geschockt wie fasziniert schnappte ich nach Luft. Er schloss schnell die Augen.
„Was bist du?“, flüsterte ich. Tränen der Anspannung wollten an die Oberfläche, doch ich unterdrückte sie. Egal, wie fremdartig mir Julian auch vorkam, ich würde meinen Zweifeln nicht nachgeben.
Ich würde mich nicht vor Julian fürchten.
Langes Schweigen herrschte zwischen uns. Er hatte die Lippen zusammengepresst und drang mit seinen Blicken tiefer und tiefer durch meine eigenen Augen. Schließlich sagte er gequält: „Bitte, Jona. Mach das nicht mit mir.“ Der sanfte Ton seiner Stimme konnte seine Qual nicht verschleiern. Seine Stirn lag in Falten, seine Augen kniff er zusammen. Seine Brust hob und senkte sich mit seinen schnellen Atemzügen.
So viel Schmerz in seinem Gesicht zu sehen brach mir beinahe das Herz. Ich legte meine Hände auf seine Wangen und zwang ihn dazu, mich anzusehen. Das strahlende Blau, an das ich mich seit meinem ersten Tag mit ihm so sehr gewöhnt hatte, war immer noch nicht in seine Augen zurückgekehrt. „Vertrau mir“, bat ich zärtlich.
„Das tue ich.“
„Aber nicht genug.“ Ich lehnte mich vor und berührte seine Lippen flüchtig mit meinen. „Du hast es so leicht geschafft, zu mir durchzudringen. Jetzt sag mir, was ich tun kann, um dich zu verstehen.“ Ich drückte meine Lippen etwas fester auf seinen Mundwinkel und atmete dabei den Duft von warmem, wildem Wind ein. Ich wollte Julian näher sein. Nicht körperlich. Ich wollte nach dem Teil von ihm greifen, den er so sehr versuchte, vor mir verschlossen zu halten.
Seine Anspannung verriet mir, dass er nicht wollte, dass ich mit dem Kuss weitermachte. Doch er wich auch nicht zurück. Ein tiefes Stöhnen kam schließlich aus seiner Kehle, als er nachgab und sich zumindest körperlich mir gegenüber wieder öffnete. Seine Hände rutschten vom Dach des Autos und an der Tür hinter mir runter, bis sie schließlich sachte auf meinen Hüften lagen.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und legte meine Arme um seinen Hals. Julian drückte mich fest an sich. Seine Zunge glitt sanft über meine Lippen in meinen Mund. Ein liebliches Spiel aus Geben und Nehmen begann. Ein Spiel, bei dem ich weder hörte noch sah, sondern nur noch spürte. Jeder seiner Atemzüge streifte die Haut meiner Wange. Seine Hände waren warm und weich, als er über meinen Rücken streichelte.
Julian unterbrach den Kuss viel zu früh und lehnte sich ein paar Zentimeter zurück. Das tiefe Blau schien wieder in seinen Augen.
„Du hast mir beigebracht, dir zu vertrauen“, sagte ich. „Denkst du nicht, es ist an der Zeit, dass du mir dasselbe Vertrauen entgegenbringst?“
Mit einem erschöpften Lächeln schüttelte er den Kopf. „Wir sprechen hier nicht über so einfache Dinge, wie dir dabei zu helfen, auf den Balkon hinauszugehen.“
„Wie schlimm ist es dann? So als müsste ich von einem Kliff springen?“
Gefühlvoll drückte er mir einen Kuss auf die Augenbraue. Ein neuer Schwall von Erleichterung und Gelassenheit überkam mich. Für den Bruchteil einer Sekunde wusste ich, es wäre klüger, mich aus seiner Umarmung zu befreien, solange ich noch Zeit dazu hatte. Solange ich noch bei klarem Verstand war und mich gegen seinen Hokuspokus wehren konnte. Denn—
Warum noch mal?
Die Anspannung wich aus meinem Körper und meinen Gedanken. Ich war nicht schnell genug gewesen, und Julian
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