Märchensommer (German Edition)
Händen auf den Sessellehnen stützte ich mich beim Aufstehen ab und ging rüber zu den Pistolen. Langsam ließ ich meinen Zeigefinger über einen der beiden langen Schäfte gleiten.
„Sei vorsichtig. Diese da ist geladen.“
Blitzschnell zog ich meine Hand zurück und drehte mich erschrocken zu meinem Onkel um.
„Derjenige, der sie damals gehalten hatte, bekam nie die Gelegenheit abzudrücken.“ Andeutungsweise hob er beide Augenbrauen. „Er überlebte le Duel nicht.“
Oh Mann, das war unheimlich.
„Deine Tante hat mir gesagt, du wolltest das Internet benutzen. Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“
„Nein danke“, winkte ich schnell ab. Mit dem Schock im Nacken eilte ich rüber zum Computer und schloss das Google-Fenster, bevor Albert sehen konnte, wonach ich gesucht hatte. „Ich hab“ —gar nichts— „alles gefunden.“
Die stoppelige untere Hälfte seines Gesichts verzog sich zu einem freundlichen Lächeln. „Ich hab nichts dagegen, dass du den Computer benutzt. Du brauchst also nicht schüchtern zu sein.“
Ich nickte nur schnell und huschte dann an ihm vorbei, zurück in die Küche. Vielleicht brauchte Marie ja meine Hilfe.
Ein Geschirrtuch um den Griff gewickelt, hob meine Tante gerade den Deckel der kochenden Kartoffeln hoch und stocherte mit einer Gabel im Topf herum. Als sie mich sah, fragte sie, ob ich die Kartoffeln in zwei Minuten in das Sieb, das bereits in der Spüle stand, schütten könne.
In diesem Moment hörten wir das Rasseln von Schlüsseln an der Haustür. Julian und meine Mutter kamen endlich nach Hause. Ein kleiner Hauch von Spannung kitzelte mich im Magen. Julian kam als Erster zur Tür herein. Seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben, als er mich gegen das Küchenboard lehnen sah. Mein Herz klopfte aufgeregt. Obwohl unsere furchtbare Unterhaltung von letzter Nacht immer noch in meinen Ohren nachhallte, konnte ich mir nicht helfen und musste zurücklächeln.
Den ganzen Tag hatte ich ihn vermisst.
„Wundervolles Timing“, freute sich Marie. „Der Fisch ist jeden Moment fertig.“
Charlene stand hinter Julian und warf mir einen kurzen Blick zu, dann drehte sie sich zu ihrer Schwester und verzog das Gesicht zu einer Miene, die ihr schlechtes Gewissen ausdrückte. „Sei mir bitte nicht böse, aber ich habe keinen Hunger. Ich werde nur schnell eine von denen hier nehmen“ —sie drückte eine blau-weiße Tablette aus der Packung in ihrer Hand und spülte sie mit einem Glas Wasser hinunter— „und mich etwas ausruhen.“
„Ach du meine Güte, Charlene. Du siehst noch schlechter aus als heute Morgen“, erwiderte Marie und rieb ihr sanft über den Oberarm, so wie sie es bei mir oft machte. „Was hat denn der Arzt gesagt?“
Meine Mutter nahm noch einen weiteren Schluck Wasser, darum antwortete Julian für sie. „Es ist nur eine Erkältung. Aber sie hat Fieber. Da ihr Immunsystem ohnehin schon stark angeschlagen ist, hat er ihr viel Flüssigkeit und vierzehn Tage strikte Bettruhe verordnet.“
„Scheiße noch mal, das ist ja eine verdammt lange Zeit, um ans Bett gefesselt zu sein.“
Oh mein Gott, ich wollte das gerade nicht sagen. Kann ich das zurücknehmen?
Alle drehten sich überrascht zu mir um. Ich biss mir auf die Zunge. Gut, dann hatte ich eben einen kurzen Anfall von Mitleid für Charlene. Na und? Mir würde jeder leidtun, der so lange nicht aus dem Bett durfte.
Um den Blicken der anderen auszuweichen, griff ich mir zwei Geschirrlappen und machte mich daran, die Kartoffeln abzuseihen. Ich hob den schweren Kessel vom Herd. Dabei rutschte mir leider einer der Henkel aus der Hand. Erschrocken zog ich die andere Seite noch höher, um zu retten, was noch zu retten war. Böser Fehler …
Das kochend heiße Wasser schwappte über und ergoss sich über meine rechte Hand.
Jeder im Zimmer erstarrte.
Und dann brach die Hölle los. Ich machte dabei den Anfang und schrie vor Schmerzen wie am Spieß. Der Topf glitt mir aus der Hand und polterte auf den Boden. Heißes Wasser spritzte in alle Richtungen und die Kartoffeln rollten quer über den Fliesenboden. Hysterisch wegen meinem Gekreische, begannen nun auch Charlene und Marie zu schreien. Albert war in der Tür aufgetaucht und versuchte entsetzt zu verstehen, was passiert war.
So viele Hände fassten mich an. Tätschelten mich. Ich wurde geschubst, gezogen, gedreht und gehalten. Der Hund bellte wie verrückt und floh aus der Küche, wobei er Marie umrannte. Jemand kickte den Kessel in eine Ecke.
Und
Weitere Kostenlose Bücher