Märchensommer (German Edition)
gehörst nicht hierher.“
„Liebe kann niemals falsch sein, Charlene. Und das müsst ihr beide noch lernen.“
Julians eindringliche Worte und der samtige Ton, der dabei in seiner Stimme lag, wärmten mich von innen wie heiße Schokolade an einem kalten Wintermorgen.
„Liebe kann falsch sein. Wenn man sie am Ende verliert.“ Ganz offensichtlich versuchte meine Mutter leise zu sprechen, doch der Zorn und die Beklommenheit flackerten unüberhörbar gleich unter der Oberfläche. „Ich wünsche mir das Beste für Jona. Und wenn das bedeutet, dass ich sterben muss, ohne dass sie mir vorher verzeiht, dann werde ich auch diesen Preis bezahlen.“
Ich schluckte schwer und versuchte das Ganze zu verstehen. Meine Mutter hatte eine Abmachung mit Julians Boss. Ich war Gegenstand dieser Abmachung. Und Julian hielt meine Mutter gegen ihren Willen am Leben.
Oh. Mein. Gott. Julian war ein Alien. Mit Kräften, die die der Menschheit weit überstiegen.
Panik packte mich am Genick. Obwohl ich meinen Mund mit beiden Händen zuhielt, schrie ich in meinem Geiste so laut, dass mir davon schwindlig wurde. Alles begann sich zu drehen. Ich bekam kaum noch Luft und torkelte seitwärts, drehte mich verlassen im Kreis und taumelte rückwärts durch den Flur auf der Suche nach etwas Solidem, woran ich mich festhalten konnte. Der wilde Schrei in meinem Kopf wurde immer lauter und lauter.
„Sieht aus, als bekämest du, was du willst“, hörte ich Julian frustriert in Charlenes Zimmer sagen. „Deine Tochter steht draußen. Vermutlich hat sie die ganze Zeit gelauscht.“
Woher wusste er das? Ich hatte keinen Mucks gemacht. Außer meinem Atem war nichts zu hören und selbst der hatte für die letzten zwanzig Sekunden ausgesetzt. Das seltsame Karussell, auf dem ich mich befand, wollte und wollte nicht aufhören, mit mir wild im Kreis zu fahren.
Dann ging plötzlich dir Tür auf und ich blickte in Julians Augen. Ein dämmriger Lichtstrahl fiel um seine Silhouette herum auf die Steinfliesen am Boden. Hinter Julian, am anderen Ende des Zimmers, saß Charlene auf dem Bett, eingewickelt in einen grünen Morgenmantel. Mein eigener Horror spiegelte sich in ihrem Gesicht.
Julian schloss die Tür hinter sich. Alles war wieder dunkel, nur durch das Dachfenster hoch über der Eingangshalle schien der Mond herab.
Er blickte mich einige Sekunden lang stillschweigend an—vielleicht, um mir die Möglichkeit zur Flucht zu geben. Oh Gott, was sollte ich tun? Ich stand allein in der Halle mit einem Alien.
Seine blauen Augen funkelten sogar in der Dunkelheit, und je länger ich sie ansah, desto weniger konnte ich weglaufen. Um die Wahrheit zu sagen, gab es sogar nur eine einzige Richtung, in die ich mich gerade bewegen konnte. Auf Julian zu.
Es fühlte sich an, als hätte ich einen Angelköder verschluckt und er würde mich nun langsam zu sich heranziehen. Mein Verstand sagte mir: Kämpfe dagegen an! Doch mein Körper wollte davon nichts hören. Ich machte einen kleinen Schritt vorwärts.
Und dann kam Julian auf mich zu.
Obwohl sein resoluter Gang mir Angst machte, blieb ich, wo ich war, bis er direkt vor mir stand und meine Hand nahm. Er zog mich ohne Umschweife hinter sich die Treppe hoch. Der Außerirdische hatte keine Probleme, seinen Weg in der Dunkelheit zu finden.
Zu meiner Überraschung führte mich Julian in mein eigenes Zimmer, doch er blieb nicht stehen, als ich die Tür hinter mir zugezogen hatte, sondern marschierte weiter hinaus auf den Balkon.
„Julian, warte! Nicht—“ Mein Flehen prallte an seinem Rücken ab.
Er schloss seine Finger fester um meine Hand und zog mich mit sich. Ich konnte nicht das Geringste gegen ihn ausrichten.
Als ich die Schwelle überschritt, wehte mir ein kühler Luftzug ins Gesicht. Eine Million Sterne funkelten am Himmel und ein halbvoller Mond hing in ihrer Mitte. Julian blieb stehen. Er drehte sich zu mir um, legte mir beide Hände auf die Wangen und küsste mich.
Zusammen mit der Zeit blieb auch mein Herz stehen.
Für einen unendlich langen Augenblick verschmolzen Julian und ich miteinander. Seine Lippen waren forsch, seine Zunge fordernd, und doch hatte ich in meinem Leben noch nie etwas Sanfteres erlebt. Es fühlte sich an, als hätte er seine ganze Seele in diesen einen Kuss gelegt.
In diesem Moment öffnete ich mein Herz für ihn. Vollkommen. Er hatte es geschafft, zu mir durchzudringen, und ich wusste, ich wollte nie wieder ohne ihn sein.
Als Julian den Kuss unterbrach und ein paar
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