Märchensommer (German Edition)
Rechnungen, der immer höher wurde.“
Ein paar lange Sekunden starrte sie in die Ferne. „Als John in unser Leben trat, dachte ich, alles würde sich endlich zum Guten für uns wenden. Ich war verliebt. Und ich dachte, er würde mich auch lieben. Und dich. Doch mit ihm wurde mir eine harte Lektion erteilt. John war drogenabhängig, und alles, was er von mir wollte, war mein Geld, um sich den nächsten Schuss zu besorgen. Geld, das ich nicht hatte. Und so wurde er zornig und gewalttätig. Er war ein sehr brutaler Mann.“ Sie blinzelte und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich. „Aber ich bin sicher, daran erinnerst du dich selbst noch gut genug.“
Ich nickte kurz, wobei ich meine Lippen verschlossen hielt und meine Zähne dahinter aufeinanderbiss. Als ihr Schweigen länger andauerte, fragte ich mich, ob sie in diesem Moment auch an die vielen Male zurückdachte, an denen mir John weh getan hatte. Oder an die unzähligen Nächte, in denen Sie versucht hatte, mich in den Schlaf zu singen, nachdem mich der Kerl windelweich geprügelt hatte. Denn all diese Dinge spiegelten sich bestimmt gerade in meinen eigenen Augen wider.
Ihre Finger schlangen sich zwischen meinen hindurch und sie legte auch ihre zweite Hand darüber. „Eines Nachts wolltest du einfach nicht aufhören zu schreien, nachdem er dich wieder geschlagen hatte. Ich redete stundenlang auf ihn ein, dass er mich mit dir in ein Krankenhaus fahren lassen sollte. Doch John weigerte sich und ließ uns nicht aus der Wohnung. Er hatte Angst, dass die Ärzte herausfinden würden, was vor sich ging. Trotzdem gab ich nicht auf. Am nächsten Morgen fuhr er uns endlich in die Notaufnahme.“
Ich erinnerte mich an diesen Tag. Mein linker Arm brannte wie Feuer. Ich musste mir etwas gebrochen haben, als John mich wie eine Fliege gegen die Wand geklatscht hatte. Zitternd hatte ich auf dem Rücksitz gesessen und seine mordlustigen Augen während der ganzen Fahrt über den Rückspiegel beobachtet. In diesen endlosen Minuten im Auto hatte er mir eingebläut, was ich später zu der Krankenschwester sagen sollte.
Ich bin von der Schaukel gefallen, am Spielplatz hinterm Haus. Ich bin von der Schaukel gefallen …
„Und dann kam die Schwester ohne dich aus dem Behandlungszimmer zurück.“ Die Stimme meiner Mutter schnitt durch meine grauenvolle Erinnerung. „In diesem Augenblick dachte ich, ich müsste sterben. Ich wusste, ich hatte dich verloren. Sie würden dich mir niemals zurückgeben. Doch auf der anderen Seite war ich auch glücklich darüber. Erleichtert. Denn John würde dir nie mehr weh tun können.“
Nun, da ich endlich meinen Zorn abgelegt und mich meiner Mutter gegenüber geöffnet hatte, konnte ich sogar ihren Schmerz nachfühlen. Es musste sie innerlich zerrissen haben.
„Was passierte mit dir und John?“, fragte ich weiter.
Meine Mutter senkte den Blick. Sie drehte sogar ihren Kopf weg von mir. Sie legte eine Hand über ihren Mund und kniff die Augen zu. Wahrscheinlich wollte sie die Tränen unterdrücken, die sie gerade plagten. „John ging ins Gefängnis wegen Kindesmisshandlung. Ich wurde ebenfalls zu sechs Jahren verurteilt, weil ich nichts unternommen hatte. Ich durfte dich in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal besuchen. Durfte mich nicht einmal von meinem eigenen Kind verabschieden.“
„Du hast mir so sehr gefehlt. Niemand hat mir gesagt, warum ich in diesem schrecklichen Heim bleiben musste. Am Anfang dachte ich, John hätte dich erschlagen … weil ich ja jetzt nicht mehr da war, um seine Dresche einzustecken. Doch dann erzählten mir andere Kinder, dass du mich wahrscheinlich einfach nicht mehr haben wolltest.“
„Oh nein, mein Schatz, das ist nicht wahr.“ Sie streckte ihre Hand nach mir aus und streichelte mir sanft über die Wange. „Ich war fest entschlossen, meine Zeit abzusitzen und dich dann wieder zu mir zurückzuholen. Nach Hause. Wo du hingehörst. Ich konnte dich damals einfach nicht in Maries Obhut geben. Ich hatte viel zu große Angst, du würdest nie wieder zu mir zurückwollen, wenn du erst einmal so lange in ihrem Haus gelebt hättest. Das war der Grund, warum ich keine Verwandten angegeben habe, als man eine Unterkunft für dich gesucht hat. Ich war so selbstsüchtig, Jona. Und es tut mir so schrecklich leid.“
So sehr diese neue Erkenntnis auch schmerzte, war ich doch froh über die Tatsache, dass meine Mutter mich damals nicht einfach abgeschrieben hatte. „Als du entlassen wurdest, hast du mich im
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