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Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
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also, sie so lange bei Kräften zu halten, bis wir uns eines Tages zufällig über den Weg laufen und ich ihr auf wundersame Weise vergeben würde?“
    „Nicht ganz.“ Er drückte mich fester an seine Seite. „Ich traf gewisse Vorbereitungen, war viel unterwegs und fand heraus, was du normalerweise zu welcher Tageszeit gemacht hast.“
    Meine Augen wurden so groß wie Autoscheinwerfer. „Du hast mich ausspioniert?“
    „Spionieren ist so ein schreckliches Wort. Ich hab viel eher … Nachforschungen über ein bestimmtes Individuum angestellt. Ich hab dich sozusagen bis ins Kleinste studiert“, sagte er mit einem neckischen Grinsen auf den Lippen. Er lehnte sich zurück und streichelte mir mit den Fingerspitzen leicht über den Nacken. „Gleichzeitig hat deine Mutter dafür gesorgt, dass du hier in den Weinbergen ein Zuhause findest, wenn alles erst einmal ins Rollen gekommen wäre. Und schließlich brauchte ich nur noch den Kurs zu setzen. Es war kein Zufall, dass dich die Polizei am Camden Market geschnappt hat.“
    „Nein, das war nur saudummes Pech.“ Oder war es das wirklich? Viele wunderbare Dinge hatten sich seither in meinem Leben ereignet.
    „Ich hatte dir praktisch ein paar Steine in den Weg gelegt. Menschen, die dich in die richtige Richtung geschubst haben.“
    In Gedanken kehrte ich zu meiner Flucht vor den Bullen zurück. „Der Mann mit der grünen Mütze“, erinnerte ich mich halblaut. „Der kleine Junge. Und dann die Frau, die mir mit ihren Krücken fast eins übergebraten hätte? Das war alles dein Werk?“
    Er nickte. Für jemanden, der zwischen den Augenblicken wandeln konnte, war das natürlich ein Kinderspiel.
    „Ich kann nicht glauben, dass du mich so manipuliert hast. Das war echt fies von dir!“ Und doch konnte ich ihm nicht böse sein.
    „Es war ziemlich einfach, deinen Freund Quinn und den Richter von unseren Plänen, dich zu deiner Familie nach Frankreich zu bringen, zu überzeugen. Tja, und den Rest kennst du ja.“
    Bei der Erwähnung von Abe lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich kreuzte meine Knöchel unter der Bank. „An diesem Morgen in Abes Büro habe ich dich in einer strahlend weißen Robe gesehen. Warum?“
    Julian zerraufte mir das Haar. „Du warst immer schon außerordentlich aufmerksam. Oder vielleicht war ich auch einfach zu unvorsichtig in deiner Nähe, keine Ahnung.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich hatte von Anfang an so meine Probleme, meine wahre Gestalt vor dir zu verbergen.“ Als er dabei schmunzelte, klang es so, als wüsste er genau, was der Grund dafür war, nur wollte er es mir nicht verraten.
    Ich versuchte mir einzureden, dass seine starken Gefühle für mich der Grund dafür waren. Schließlich bestand da diese kleine Chance, dass er von Anfang an wollte, dass ich ihn wirklich sah. Dass er mir gegenüber aufrichtig sein wollte.
    Aufrichtigkeit war mein Stichwort. Ich wandte mich wieder meiner Mutter zu. Julian hatte uns Zeit zum Reden versprochen und ich hatte noch so viele Fragen an sie. „Warum hast du mich damals weggegeben, Mom?“
    Ein Moment des Schweigens zog sich unangenehm in die Länge. Meine Mutter wrang ihre Hände auf dem Tisch und zappelte auf ihrem Sitz herum. Da drückte mir Julian plötzlich einen Kuss auf die Augenbraue und flüsterte mir ins Ohr: „Ich werde mal nachsehen, ob Albert meine Hilfe braucht.“ Obwohl ich bei diesem Gespräch gerne seine beruhigende Aura um mich gehabt hätte, war ich auch dankbar für seinen Rückzug. Mom und ich brauchten etwas Zeit allein.
    Als er aus dem Garten verschwunden war, nahm ich meine Tasse wieder in die Hand und versuchte daraus etwas Wärme und Ruhe zu ziehen. Ich fühlte den Schmerz der letzten zwölf Jahre in mir aufsteigen und bemühte mich, ihn nicht in meine Stimme kriechen zu lassen. „Warum das Kinderheim und nicht dieser Ort hier? Warum hat man mich damals nicht Marie übergeben?“
    Meine Mutter hielt zwar meinem Blick stand, doch die Farbe wich ihr gerade dramatisch aus dem Gesicht. Die Antwort würde mir also sicher nicht gefallen.
    Sie atmete einmal tief ein und langsam wieder aus. „Meine Familie hatte keine Ahnung von dir. Ich habe es ihnen damals nicht erzählt, weil ich mich für meine Lage geschämt habe—schwanger von einem Mann, den ich kaum kannte und der mich verlassen hatte, noch ehe du geboren wurdest. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nichts außer einer schäbigen Zweizimmerwohnung, einer Handvoll Pfund in der Tasche und einem Stapel unbezahlter

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