Märchensommer (German Edition)
meine. „Niemand hätte mir mehr helfen können, Liebes. Es handelt sich um Bauchspeicheldrüsen-Krebs. Ich habe Monate lang sehr starke Medikamente bekommen. Aber diese Art von Krebs ist nun mal unheilbar.“
Ich hatte bereits gehört, dass ihre Krankheit unheilbar war. Doch ich weigerte mich ganz einfach, das zu glauben. „Es muss einen Weg geben. Was ist mit einer Chemotherapie? Oder einer Operation? Braucht man eine Bauchspeicheldrüse überhaupt? Man könnte sie vielleicht rausschneiden.“
Charlene verzog das Gesicht. Ich erkannte einen Schmerz in ihren Augen, der nichts mit ihrem eigenen Unglück zu tun hatte. Ihr Leid hing wohl mit meinem entsetzten Gesichtsausdruck zusammen und der Tatsache, dass sie nach all den Jahren, in denen wir getrennt waren, keine bessere Nachricht für mich hatte.
Ich seufzte und versuchte zumindest nach außen hin stark zu bleiben. „Na schön. Wie kam dann Gott ins Spiel?“ Oh Mann, wie diese Frage allein schon klang. Und wir beide saßen da und wussten, dass dies kein Scherz oder blödes Gerede war. So etwas passierte sicher nicht alle Tage. „Es ist schon etwas Außergewöhnliches, dass Gott einfach jemanden vom Himmel schickt, um die Wünsche anderer Leute zu erfüllen.“ Zumindest hatte Er in den vergangenen zwölf Jahren nie jemanden auf mein Flehen hin geschickt.
Meine Mutter blickte zum Himmel hoch. Ein dankbares Strahlen setzte sich in ihren Augen fest. „Ja, das ist es ganz sicher. Er hatte an jenem Abend wohl wirklich Mitleid mit mir.“ Als sie ihren Blick wieder zu mir senkte, zog ich meine Augenbrauen hoch, in der Hoffnung, sie würde mir mehr erzählen. „Es geschah an dem Abend, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Man hatte mir gesagt, es gebe für mich kein Heilmittel mehr und ich solle meine Angelegenheiten regeln.“
„Mit anderen Worten, sie sagten dir, deine Zeit sei um.“
Meine Mutter nickte. „Sie gaben mir noch ein halbes Jahr, wenn überhaupt. Die ganze Zeit musste ich nur an eines denken. An dich.“ Ihre Hand schloss sich fester um meine. Die Engelskraft, die ihr Julian vorhin eingeflößt hatte, entfaltete langsam ihre volle Wirkung. „Ich hab in meinem Leben ganz schön Mist gebaut. Und dabei habe ich dich vor allen anderen am meisten verletzt. Ausgerechnet dich, wo du doch das Beste warst, das mir jemals passiert ist. Auf Knien betete ich an jenem Abend um eine Chance, alles wieder gutmachen zu können. Ich hatte keine Angst davor, zu sterben. Ich hatte nur Angst, dich nie mehr wieder in den Armen halten zu können—“ Ihre Unterlippe zitterte. Aus ihrer Hosentasche zog sie ein Taschentuch, putzte sich die Nase und wischte sich dann die Tränen aus den Augen.
Mein Herz fühlte sich genauso verkrampft an wie mein Hals. Ich streckte meine Hand über den Tisch und legte sie meiner Mutter auf den Unterarm. „Du kannst mich jetzt halten“, sagte ich leise zu ihr.
Ihre Mundwinkel zuckten, als versuchte sie zu lächeln. Doch stattdessen ergossen sich mehr Tränen aus ihren Augen. Da kam Julian durch die Tür und stellte ein Tablett mit drei dampfenden Tassen zwischen uns. Als er meiner Mutter eine Hand auf die Schulter legte, atmete sie tief durch. Ich hatte nicht bemerkt, dass sie kaum noch Luft bekommen hatte. Ihr verzerrtes Gesicht entspannte sich wieder ein wenig.
Mit der Stärke, die ihr Julian gegeben hatte, fuhr sie fort: „In jener Nacht bat ich um einen einzigen friedvollen Moment mit dir. Ich war bereit, dafür den Rest meines Leben einzutauschen.“
Mein Kinn sackte nach unten.
„Natürlich hatte ich nicht geglaubt, dass mir da oben wirklich jemand zuhören würde, doch deshalb war ich nicht weniger entschlossen. Und dann erleuchtete plötzlich ein seltsamer Lichtstrahl mein Schlafzimmer. Daraus entstieg ein Engel.“ Sie lächelte. „Julian stellte sich mir vor. Er sagte, man hätte ihn geschickt, um mir zu helfen. Ich glaubte ihm kein Wort.“
Als sich Julian neben mich auf die Bank setzte, wurden ihre Wangen etwas röter, und sie sah ihn schuldbewusst an. „Du hattest es weiß Gott nicht leicht mit mir, nicht wahr?“
Schmunzelnd legte Julian einen Arm um meine Schultern, doch sein Blick ruhte die ganze Zeit auf meiner Mutter. „Dich zu überzeugen war mit Sicherheit eine Herausforderung.“
Ich griff nach einer der drei Tassen, pustete kurz und nahm dann einen kleinen Schluck von dem schwarzen Tee, den Julian mitgebracht hatte. Dabei sah ich ihn aus dem Augenwinkel an. „Dein Plan war es
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