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Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
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Erinnerungen vor mir zu verbergen. Und was war mit heute? Mein Hals wurde eng und schmerzte, als ich schluckte. „Wie geht es weiter? Da ich jetzt weiß, dass du ein Engel bist, wirst du mir meine Erinnerungen wieder nehmen? Werde ich alles vergessen, was heute zwischen uns passiert ist?“
    „Letztendlich … ja.“
    „Nein! Das darfst du nicht!“, wollte ich kreischen, doch es kam kein Ton aus meiner Kehle.
    Julian schwieg mich an. Doch er hob mich sanft von sich runter und setzte mich neben sich im Gras ab. Dann richtete er sich auf. Seine Flügel begannen zu vibrieren. Die Frequenz wurde rasch höher, bis sie sich plötzlich in nichts auflösten. Beraubt von seiner wahren Schönheit, strich ich mit meinen Händen über seine Schulterblätter, doch da war nichts mehr zu spüren.
    Als er sein Shirt anzog und es zuknöpfte, schlüpfte ich auch in meines. Dann nahm er meine Hand und zog mich mit sich hoch. Ich folgte ihm mit schwerem Herzen, als mir klar wurde, dass wir zurück nach Hause gingen.
    Kurz bevor wir den kleinen Wald erreichten, der uns von den Weinbergen abschnitt, blieb Julian noch einmal stehen und drehte sich zu mir. „Jona, an dem Tag, an dem ich die Erde wieder verlassen werde—“ Er unterbrach sich selbst und sah mich schwermütig an. „Wenn deine Mutter stirbt, werde ich dir nicht nur die Erinnerung an mein Geheimnis nehmen. Du wirst dich am Ende überhaupt nicht mehr an mich erinnern können. Es wird so sein, als hättest du mich nie gekannt.“

27. Aus der Vergangenheit
     
     
    DEN BLICK AUF meine Schuhe gerichtet, zog ich meine Füße durch das lange Gras. Julians warme Hand um meine versuchte mir vorzugaukeln, dass die Welt immer noch in Ordnung war. Die Grashalme schaukelten sanft im Wind; er kontrollierte nicht länger die Zeit. Die Augenblicke rasten wieder vorbei wie wilde Stromschnellen.
    Das Grauen davor, bald die wichtigste Erinnerung in meinem Leben zu verlieren, ankerte tief in meinen Knochen.
    Wir gingen nach Hause. Um diese Tageszeit waren noch alle in den Weinbergen bei der Arbeit. Außer meiner Mutter. Als Julian und ich auf Zehenspitzen eintraten, schlief sie immer noch friedlich in ihrem Bett. Julian streifte mit seinen Fingerspitzen über ihre Stirn. Einen Moment später erwachte sie unter leisem Stöhnen aus diesem unnatürlich tiefen Schlaf.
    Es war eine Sache, zu wissen, dass Julian Zauberkräfte hatte, doch es war eine völlig andere, zu sehen, wie er sie tatsächlich einsetzte. Ich wusste nicht, worauf ich mich eher konzentrieren sollte. Julians wunderhübsches Gesicht, wenn er sich auf seine Kräfte einließ, oder auf die glücklichen Augen meiner Mutter, die gerade weit aufgingen, als sie mich in ihrem Zimmer stehen sah.
    Willkommen zurück, Mom.
    Julian setzte sich auf die Bettkante und nahm ihre knochige Hand in seine. Sogleich trat wieder Farbe in ihre Wangen und ihre glasigen Pupillen reduzierten sich auf normale Größe.
    „Ist es schon so weit?“, fragte sie mit einem Zittern in der Stimme.
    Julian schüttelte den Kopf. „Der Pakt ist erfüllt, aber Er ist kein Unmensch. Ihr beide bekommt auf jeden Fall noch die Chance miteinander zu reden.“ Er stand auf und streckte ihr seinen Arm entgegen. „Heute ist ein wunderschöner Tag. Möchtest du lieber draußen auf der Terrasse sitzen?“
    „Ja, sehr gern.“ Charlene lächelte schwach, als sie mit seiner Hilfe vom Bett aufstand. „Immerhin ist das vielleicht meine letzte Gelegenheit, den blauen Himmel und die wunderschönen Weinberge noch einmal zu sehen.“
    Mein Brustkorb schien plötzlich viel zu eng für mein eigenes Herz zu sein. Ich hustete, um den schweren Kloß in meinem Hals loszuwerden.
    Julian führte meine Mutter hinaus zu dem hölzernen Tisch und den zwei Bänken auf der Terrasse und ließ uns dann unter dem Vorwand, Tee für uns zu machen, allein. Ich setzte mich Charlene gegenüber und betrachtete ihre schwachen Gesichtszüge. Sie trug bereits den Stempel des Todes auf sich. Wie lange noch bis Gott sie mir wegnehmen würde? Vielleicht einen Tag? Oder zwei?
    „Warum hast du diese dumme Abmachung getroffen, Mom?“ Ich hatte keine Chance das Beben meiner Stimme zu unterdrücken. „Warum bist du nicht stattdessen zu Ärzten gegangen? Sie hätten dir bestimmt helfen können.“
    „Also hat er es dir endlich erzählt?“ Meine Mutter schüttelte bedrückt den Kopf, doch dann zuckten ihre Schultern plötzlich mit einem schwachen Lachen. Sie schob ihre Hand über den Tisch und legte sie auf

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