Märchensommer (German Edition)
vertrauen. Und als du die Worte laut ausgesprochen hast, öffnete sich damit ein Portal, durch das ich zu dir zurückkommen konnte.“
Zurückkommen.
Zurückkommen?
„Ganz … zurückkommen?“ Mein Mund war staubtrocken und meine Zunge klebte an meinem Gaumen. Ich kam nur stammelnd voran. „Ich—ich meine … bist du jetzt als der Engel hier, der dann wieder verschwindet … oder … du weißt schon … so richtig? Als Mann … und so.“
Es gab einen dumpfen Aufschlag, als Julian runter auf den Bretterboden hüpfte. Die Blumenkästen außen am Balkon bebten sanft und Tautropfen lösten sich von den rosa und violetten Petunien. Die Daumen in die Hosentaschen gehakt, lehnte er sich entspannt gegen das Geländer. „Richtig“, teilte er mir durch ein schiefes Grinsen mit. „Als Mann … und so.“
Das gibt’s nicht! So lange musste ich es ohne ihn aushalten und nun stand er tatsächlich vor mir. Die Versuchung war groß, einfach auf meinen Verstand zu pfeifen und ihm um den Hals zu fallen. Doch die Angst davor, dass er sich genau dann wieder in Luft auflösen würde, fesselte mich an Ort und Stelle. Wie viel Wahnsinn konnte ein einzelnes Gehirn eigentlich erzeugen?
„Bonjour, Jona!“, rief meine Tante in ihrem üblichen gutgelaunten Ton. Und dann: „Hi, Julian! Bleibst du zum Frühstück?“
Mir gefror das Blut in den Adern. Ich neigte meinen Oberkörper leicht auf eine Seite und spähte an Julian vorbei über die Brüstung. Marie trug gerade eine Kanne dampfenden Kaffee zu dem Tisch unterm Apfelbaum.
„Ja, ich denke, das werde ich“, antwortete Julian lässig. Sein Blick wich dabei keinen Millimeter von meinem Gesicht.
„Sie hat dich gerade eingeladen, mit uns zu essen.“ So als wäre es das Natürlichste auf der Welt, mit einem Engel am Frühstückstisch zu sitzen. „Wie kann es sein, dass sie weiß, wer du bist?“
„Wie ich schon sagte, du hast dieses Tor geöffnet.“ Julian zuckte mit den Schultern. „Und jeder, der mich früher kannte, wird sich auch jetzt wieder an mich erinnern.“
In meinem Kopf drehte sich alles rasend schnell. Skeptisch sah ich ihn aus dem Augenwinkel an. „Und sie wird sich nicht wundern, wo du all die Monate gesteckt hast?“
„Sie kennt mich als den Pfleger ihrer Schwester. Soweit sie sich erinnert, habe ich Frankreich kurz nach der Beerdigung verlassen, weil ich zu einem anderen Fall gerufen wurde. Sie zweifelt ganz sicher nicht daran, dass ich real bin.“ In einem verführerisch langsamen Tempo steuerte er auf mich zu. Sein Kinn war gesenkt und in seinen Augen brannte ein gefährliches Feuer. „Warum also zweifelst du noch daran?“
Ich streckte zögernd meine Hand nach ihm aus und erwartete dabei fast, dass er zurückweichen würde, so wie all die Male in meinen Träumen. Doch Julian kam näher und ließ mich die zarte Haut auf seinen Wangen fühlen. Ich strich mit meinen Fingerspitzen über seine Lippen, unter sein Kinn und seinen Hals entlang bis zu seinem linken Schlüsselbein.
„Immer noch nicht überzeugt?“, hauchte er.
„Du fühlst dich so echt an. So lebendig. Ich habe monatelang von dir geträumt. Immer wollte ich dich anfassen und dir so viele Fragen stellen.“ Meine Stimme klang beinahe verzweifelt und ich schüttelte dabei den Kopf. „Und jetzt wo du wirklich hier bist, wage ich es kaum meinen Augen trauen.“
„Das solltest du aber lieber, Prinzessin. Denn erst dann fühlt sich das hier so richtig gut an.“ Im nächsten Moment legte mir Julian beide Hände auf die Wangen und neigte meinen Kopf leicht zurück, sodass er seine Lippen mit feuriger Leidenschaft auf meine pressen konnte.
Meine Hände lagen flach an der Wand hinter mir. Ich schloss die Augen und ergab mich Julians Kuss. Er streichelte erst meine Lippen mit seinen, leckte dann zart darüber, als wollte er mich von Anfang bis Ende auskosten, und wartete geduldig, bis ich seinen Rhythmus aufnahm und meinen Mund langsam für ihn öffnete.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis sich unsere Zungenspitzen endlich trafen. Die ersten Berührungen waren federleicht, beinahe schüchtern, und weiteten sich dann immer mehr in ein sinnliches Streicheln aus. Meine Knie wurden weich, doch mit der Wand in meinem Rücken und Julians Körper, der sich sanft an meinen schmiegte, war ich in seiner Leidenschaft gefangen.
Als ich meine Hände zaghaft an seine Brust hob, stützte sich Julian mit seinen Händen links und rechts von meinem Kopf an der Wand ab. Er begann eine Schlangenlinie von
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