Märchenwald Mörderwald
Grollen. Freundlich hörte es sich nicht an. Es schien so etwas wie eine Warnung für uns zu sein, und wir sahen auch, dass sich das Tier sprungbereit machte.
Es war von seiner Gestalt größer geworden als einer der schlanken Windhunde, die man oft bei den entsprechenden Rennen sieht. Der Hund sah auch kräftiger aus, und wenn man von bösen und kalten Augen sprechen konnte, dann war das hier der Fall.
Der Lord bewies, dass er seine Schussfertigkeit auf dem Schießstand gelernt hatte, denn er stellte sich so hin, wie es dort die Menschen tun. Er hielt die Pistole mit beiden Händen fest. Er zielte über Kimme und Korn. Auch wenn hier kein perfektes Büchsenlicht herrschte, konnte er das Hundemonstrum nicht verfehlen.
Das mutierte Tier scharrte mit seinen Hinterläufen. Es war so etwas wie ein Startsignal. Gleichzeitig durchlief ein Zucken seinen Körper, und dann hob es ab.
Zugleich feuerte der Lord!
Er blieb ruhig, er schrie nicht auf, und er jagte die Kugel direkt hinein in das offene Maul.
Die Wucht des Treffers stoppte das große Tier nicht. Es befand sich im Sprung, es nahm uns sogar für einen winzigen Moment die Sicht, und beide mussten wir zur Seite springen.
Genau das war perfekt. Anstatt uns umzureißen, prallte der Hund dicht vor der Linde auf den Boden. Er schlug dort mit den Läufen um sich, riss die Erde auf, schleuderte Lehm und Laub durch die Luft, bewegte wild seinen Kopf und heulte auf wie eine verrostete Sirene.
Kurz danach blieb er regungslos auf der Seite liegen.
Die Stille war jetzt vollkommen. Wir sprachen kein Wort miteinander und schauten uns nur über den Kadaver des leblosen Hundes hinweg an.
»Ich glaube, das ist es gewesen«, sagte der Lord schließlich.
»Kann sein.«
»Und was steht uns als Nächstes bevor? Treffen wir auf Ameisen, die so groß wie Hunde sind?«
»Ich habe keine Ahnung und weiß nur, dass dieser Hund das Haustier der Bensons ist.«
»Mit grünem Schaum vor dem Maul.«
»Richtig.«
Bisher hatte sich das Tier nicht mehr bewegt, deshalb gingen wir davon aus, dass es nicht mehr lebte. Ich zog meine Waffe, als ich mich dem Kopf näherte, der auf der rechten Seite lag. Das Maul stand offen, und das Auge, in das wir schauten, wirkte wie eine polierte dunkle Perle.
»Eine Kugel hat gereicht«, murmelte der Lord, bevor er gegen den Kopf trat. »War ein guter Schuss. Nur gelingt er mir nicht immer. Darauf müssen Sie sich schon einstellen, John.«
»Kein Problem.«
»Dafür wird es andere geben.«
»Bestimmt«, erwiderte ich leise.
»An wen denken Sie, John?«
- »Ich schätze, wir beschäftigen uns mit den gleichen Gedankengängen.«
»Kann schon sein, wenn Sie die Bensons meinen.«
»Genau die.«
Nach dieser Antwort schwieg auch Sir Henry eine Weile. Es konnte ihm einfach nicht gefallen, dass sich auch die Menschen verändert hatten, und er wollte es nicht für sich behalten.
»Können Sie sich vorstellen, dass in diesem Wald auch Menschen zu Riesen mutieren?«
»Nein, vorstellen kann ich es mir nicht. Aber ich will nichts ausschließen.«
Er winkte ab. »Gut, dass Sie an meiner Seite sind. Ein anderer wäre jetzt durchgedreht. Er würde mir auch nichts glauben, obwohl er so etwas mit eigenen Augen sieht.« Der Lord schaute in die Höhe und war nach einer Weile beruhigt, denn er meinte: »Ich habe einige Vögel gesehen. Sie sind nicht mutiert. Wäre ja noch schöner, wenn plötzlich aus einem Spatz oder einer Amsel ein Adler wird.«
Ich war froh, dass er seinen Humor nicht verloren hatte. Zweimal umrundete ich den veränderten Kadaver, und mich interessierten dabei besonders die Augen. Ich suchte nach einem Hinweis auf Aibon, und das wäre in diesem Fall eine grünliche Farbe gewesen. Sie erschien selbst dann nicht, als ich mit der Lampe die Augen anleuchtete.
»Was wollten Sie erfahren?«
Ich winkte ab. »Nichts, es war nur eine Idee.«
»Sie machen sich schon Gedanken.«
»Klar.«
»Und haben schon einen Hinweis gefunden, wenn ich Ihr Verhalten richtig deute.«
Der Lord war ein guter Beobachter. Es hatte auch keinen Sinn, ihn zu belügen, und so sagte ich: »Nein, es ist leider kein Hinweis gewesen, sondern ein bestimmter Verdacht.«
»Na bitte. Und in welche Richtung läuft er?«
»Sagen wir so: Er beschäftigt sich mit einer anderen Welt.«
»He, gibt es die überhaupt? Wie heißt die denn?«
»Aibon.«
Mit dieser Antwort hatte ich sogar den redseligen Lord zum Schweigen gebracht. Zumindest für eine Weile. Dann siegte die Neugierde.
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