Märchenwald Mörderwald
»Wo kann man das Land denn finden? Auf alten Landkarten? Hieß es früher mal so und heute anders?«
»Nein, es hat den Namen immer gehabt. Sie werden es auf keiner Landkarte finden. Es hat immer so geheißen, und manche bezeichnen es auch als Paradies.«
»Eden, wie? Die Sache mit Adam, Eva und dem Apfel.«
»Etwas anders ist es schon, Sir. Aibon ist das Paradies der Druiden. Das Land der Legenden, auch der märchenhaften Bewohner oder sogar das Fegefeuer. Es kommt ganz darauf an, wer es betrachtet und welche Meinung dieser Mensch hat.«
Der Lord war nachdenklich geworden. »Sie haben von Märchen und Legenden gesprochen, John, dann würde Ihre Erklärung hier doch eigentlich passen. Die Leute nennen dieses Gebiet Märchenwald und auch Mörderwald. Ob da welche mehr wissen?«
»Das kann sein.«
Sir Henry musste etwas nachdenken. Dabei drehte er sich gedankenschwer um und schaute wieder am Stamm der Linde hoch, wobei er nickte und mit leiser Stimme fragte: »Ob meine Schwester Bescheid gewusst hat? Und ob sie deshalb hier begraben werden wollte?«
»Ausschließen kann man nichts.«
»Warum hat sie dann nicht mit mir darüber gesprochen? Sie wusste doch, dass ich für vieles zugänglich bin.«
»Bitte, das dürfen Sie mich nicht fragen.«
»Ja, ich weiß.«
Er kam trotzdem von seiner Schwester nicht los. Er hatte einmal ihre Geisterstimme vernommen, und er wollte, dass sich das wiederholte, denn er legte sein Ohr gegen die Rinde und schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können.
Ich ließ ihn in Ruhe und wünschte ihm sogar, dass er Kontakt mit seiner toten Schwester bekam.
Der Schuss vorhin hatte einige Vögel aufgeschreckt, die sich längst wieder beruhigt hatten. Es war die normale Stille zurückgekehrt, und der Lord hätte etwas hören müssen.
Leider war es nicht der Fall.
»Habe keinen Kontakt bekommen, John. Jetzt glauben Sie mir wahrscheinlich nicht – oder?«
»Ich denke, da irren Sie sich, Sir. Was wir beide bisher schon erlebt haben, das lässt auf andere, unerklärliche Vorgänge schließen. Obwohl ich der Meinung bin, dass es auch für diese Phänomene eine Erklärung geben muss.«
»Meinen Sie?«
»Sicher.«
Der Lord schluckte. »Nun ja, ich war bisher der Ansicht, dass man solche Dinge nicht erklären kann. Aber Sie sind der Fachmann, der Geisterjäger, wie man so schön sagt. Da haben Sie mir einiges voraus. Ich habe auch nur die Asche meiner Schwester verstreuen wollen an einem exponierten Ort, den sie sich gewünscht hat. Dass ich dadurch allerdings so viel in Bewegung setzen würde, das hätte ich nie gedacht.« Er blickte mich offen an. »Oder sehe ich das falsch?«
»Nein, ich denke nicht. Möglicherweise hat die Asche der Toten dieser Umgebung den letzten Kick gegeben. Dass der Wald nicht geheuer ist, das war offenbar schon seit Jahren klar. Da haben die Einheimischen schon den richtigen Riecher gehabt. Sie konnten nur nicht klar definieren, was hier genau abläuft.«
»Klar, das muss man wohl so sehen.« Er deutete auf den Baum und fragte: »Wie hieß diese andere Welt noch mal, von der Sie gesprochen haben, Mr. Sinclair?«
»Aibon.«
Er wiederholte den Namen und wollte wissen, ob dann der gesamte Wald von dort stammte.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Möglicherweise ist er auf einem Gebiet gewachsen, das vor mehr als tausend Jahren mal in einer Verbindung zu Aibon gestanden hat.«
»He, Sie sind aber verdammt gut informiert.«
»Ich nehme nur etwas an. Und es gibt auch Erfahrungswerte, die ich gesammelt habe.«
Mit der nächsten Frage überraschte er mich. »Auch über Riesen?«
»Nicht direkt.«
»He, es hörte sich an, als würden Sie es nicht ausschließen. Oder doch?«
Ich wollte etwas Druck aus dem Kessel nehmen und den guten Mann nicht durcheinander bringen. »Warten wir es ab, Sir.«
»Nein, sagen Sie mir trotzdem, was man sich in Geisterjägerkreisen über Riesen erzählt.«
»Gar nichts. Aber es gibt uralte Legenden. Wie viel Wahrheit dahinter steckt, das weiß ich nicht. Es gibt Geschichten über Engel, die verstoßen wurden und sich auf der Erde als Riesen niedergelassen haben. Aber daran sollten Sie sich jetzt nicht festhalten, Sir.«
»Wäre aber eine Erklärung«, sagte er nachdenklich.
Für mich war das Thema erledigt, obwohl man wieder skeptisch werden konnte, wenn man sich den Kadaver des Hundes betrachtete. Das Tier war verdammt groß, und ich glaubte nicht, dass es die Größe durch eine genetische Manipulation erreicht
Weitere Kostenlose Bücher