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Maeve

Maeve

Titel: Maeve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Verbitterung über die schlaflose Nacht, ihren Streit mit Gwynnor – wegen Aleytys – und den Rest Entsetzen vor dem Sturm verstärkten. Gwynnor zog sie nahe zu sich heran, froh, sie neben sich zu haben; er nahm ihre Gereiztheit nicht ernst.
    Sie atmeten schwer, als sie den Gipfel schließlich erreichten. Windgeformte Zedern klammerten sich bedenklich nahe am Rand des steil abfallenden Hanges fest. Dahinter ragte eine Buchsbaumkette auf, wild und ungezähmt an der Außenseite, die Innenfläche jedoch ordentlich gestutzt. Der rote Stein war zerbröckelt und durch eine mit üppigem grünem Rasen bewachsene Bodenschicht ersetzt worden: Ein samtartiger Rasen erstreckte sich in einem Hufeisenring um die Vorderseite des anmutigen Steinbaues vor ihnen. Ein Gehweg aus zerkleinertem rotem Kies, ordentlich geharkt wie ein gefegter Fußboden, die Kanten rasiermesserscharf gezogen, durchschnitt das Hufeisen aus Grün in gerader Linie zum Säuleneingang des Tempels.
    Sioned blieb stehen und zog an Gwynnors Hand; er blieb ebenfalls stehen. „Ich glaube, wir sollten nicht darauf gehen.“
    „Wie sollen wir sonst zum Tempel gelangen? Komm. Sei nicht dumm.“
    Zögernd trat Sioned auf den Kies und schüttelte sich bei dem durch ihre Füße verursachten Knirschen. Sie blickte nach hinten und zuckte zusammen, als sie das Durcheinander sah, das ihre Füße gemacht hatten. Gwynnor zog sie weiter, und sie ging schneller, noch immer widerwillig, in die starr disziplinierte Landschaft hinein, die menschlicher Anwesenheit antithetisch schien. „Es mag uns nicht“, murmelte sie.
    Gwynnor schüttelte den Kopf, da er nichts von ihrer Angst empfand. „Du läßt dich von deiner Einbildung mitreißen, Sioned. Du hast in den letzten paar Monaten ein hartes Leben geführt, und du bist völlig erschöpft.“ Er eilte weiter und zog das widerstrebende Mädchen mit sich.
    Am Ende des Weges trugen zwei wuchtige Pfeiler einen Querbalken, an dem ein grünspanbefleckter Kupfergong hing; breiter als Gwynnor groß war. Ein Schlegel mit gepolstertem Ende hing – aufgehängt an paarweise angeordneten Trägern – vor dem Gong.
    Gwynnor sah Sioned an, eine Hand hatte er auf dem Schlegel ruhen.
    „In Ordnung, wenn es sein muß.“ Sie wich zurück, hob die Hände, um ihre Ohren zu bedecken.
    „Wir sind gekommen, um die Synwedda zu sehen.“ Er warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den Schlegel, zwang ihn zurück, gebrauchte dann den gesamten Schwung, um das gepolsterte Ende gegen den Gong zu schmettern, was einen tiefen, vibrierenden Ton dröhnend über den Berggipfel zittern ließ.
    Als der große, fordernde Ton zu einer summenden Stille erstarb, trat er an Sioneds Seite und stand wartend vor dem dunklen, schweigenden Bogen, hinter dem sich das Gebäude auftat.
    Eine unheimliche Gestalt in einem weißen Kapuzengewand mit langen, händeverhüllenden Ärmeln trat lautlos aus der Dunkelheit, kam wie ein gewaltiges menschliches Fragezeichen in dem Torbogen zum Stillstand.
    Gwynnor hob den Kopf und trat vor, um sich vor die Tempeldienerin zu stellen. „Die Cerdd leben in Angst und Schrecken auf der Maes. Breudwyddas sind tot. Maranhedd wurde uns weggenommen, jedes Korn. Jetzt werden junge Cerdd geraubt. Wir kommen, um zu erfahren, was die Synwedda dagegen zu tun vorschlägt.“
    Nach einem Augenblick des Schweigens kroch eine schlanke Hand aus dem Ärmel und winkte. Dann drehte sich die Tempeldienerin um und schritt rasch und lautlos in das Innere.
    Sioned blieb zurück. „Ich kann hier draußen warten.“
    „Nein. Komm mit mir hinein. Ich brauche dich.“
    Sie kam näher an ihn heran. „Danke, Gwyn.“
    Sie folgten der schweigenden, gleitenden Gestalt in das Herz des Tempels, ein seltsamer Raum, wie ein senkrecht durch den Stein getriebener, polierter Zylinder, sich zum Himmel hin öffnete. Der Boden war am äußeren Rand gekachelt, ein Kreis tadellos geharkter Erde beanspruchte das Zentrum. Ein Baum wuchs aus der Erde, dessen Äste spiralförmig den Stamm emporstiegen, die gerillten Spitzen streiften die Wände des Zylinders. Büschel von graugrünen Blüten, die zur Frucht verwelkten, warfen einen schweren, übersüßen Duft in die ständig zirkulierenden Luftströmungen, ein Wohlgeruch wie von verfaulten Aprikosen, der das Gehirn benebelte, den Metabolismus verlangsamte. Gwynnor und Sioned standen eine Zeitlang unsicher da, gefangen von der narkotisierenden Luft und tiefen, schnarrenden Glockentönen.
    Bis Sioned ärgerlich wurde. Sie richtete

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