Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
begann ich zu studieren und stellte gleichzeitig fest, dass der Pesthauch von Mafia und Tod die stille Po-Ebene bereits erreicht hatte.
Diese Mistkerle beuten auch unsere neue Heimat aus. Sie verlangen auch hier Schutzgeld und verwandeln unsere Straßen in Kulissen eines Italo-Westerns von Sergio Leone. Heimlich, still und leise hatten sie sich in den Gemeinden Norditaliens niedergelassen. Um hier die Profite ihrer Verbrechen zu investieren und sie so von den Blutkrusten zu reinigen, die an ihnen klebten. Um diese Profite also in legale Aktivitäten einzuschleusen und damit zu »waschen«.
Sowas nennt sich »Ehrenmänner«. Sie lassen ihre ursprüngliche Heimat lieber durch Arbeitslosigkeit, Giftmüll und Schmerz vor die Hunde gehen, statt sich als die Herren des Ganzen zu erkennen zu geben. Um bei der dortigen Bevölkerung, die ihnen zu großen Teilen immer noch Respekt und Achtung entgegenbringt, keinen Neid auf sich zu ziehen, verbergen sie sorgsam ihren auf verbrecherische Weise erworbenen Reichtum.
Denn an der Südostküste Kalabriens und im bergigen Hinterland des Aspromonte trauen sich die Paten nicht, mit ihrem Reichtum und den damit erworbenen Schätzen zu protzen. Sie wohnen in grauen, unauffälligen, mehrstöckigen Häusern. Aber die Wohnungen selbst sind randvoll gepackt mit den teuersten Dingen: Wasserhähne aus massivem Gold, wertvolle Gemälde, Unterhaltungselektronik neuesten Datums. Schließlich müssen sie ihren Frauen und Kindern demonstrieren, was so ein Mafioso-Leben abwirft. Aber nicht der Bevölkerung, weil das nur Neid erzeugt und Neid bekanntlich der entscheidende Triebfaktor des Denunzianten ist.
Wollen sie den Mythos des volksnahen Mafia-Bosses aufrechterhalten, müssen sie ihren Reichtum verbergen. Folklore, reine Folklore. Die Realität sieht anders aus. Sie investieren im Norden, um keinen Verdacht bei den Ermittlern zu erregen und auf risikoarme Weise Millionen und Abermillionen Euro zu waschen. Und so wird im Norden Italiens eine ohnehin ungebrochen florierende Wirtschaft mit einem unaufhörlichen Zustrom illegalen Kapitals überschwemmt. Gleichzeitig versinkt der Süden des Landes im Elend.
Die legale und die illegale Wirtschaft Italiens spielen sich auf zwei parallel existierenden Ebenen ab. Aber immer häufiger geschieht es, dass sie sich berühren, sich vereinen, eine untrennbare Mischung bilden, in der das illegale Kapital spurlos im legalen verschwindet. Von Orten im Süden wie San Luca, Platì, Reggio di Calabria, Palermo, Catania, Castelvetrano, Casal di Principe, San Cipriano d’Aversa und Neapel fließen unermessliche illegale Kapitalströme in die boomende Wirtschaft des Nordens und in den Finanzsektor. Die Wege dieser Süd-Nord-Finanzströme bilden ein Netzwerk, bilden das eigentliche wirtschaftliche Rückgrat des Landes.
Gelingt es doch einmal, eine mit Drogengeld von einem Clan gekaufte Immobilie zu beschlagnahmen und schließlich zu enteignen, kann die Herkunft des zum Kauf benutzten Geldes meist nicht mehr festgestellt werden, die Herkunft jener schwarzen Liquidität, die auch dazu benutzt wird, in den Aktienmarkt zu investieren. Aus Drogenprofiten werden so unverdächtige Aktien namhafter Unternehmen. Man kauft sie, man verkauft sie.
Die internationalen Finanzmärkte nahmen das Mafia-Geld gern, unter dem Siegel der Verschwiegenheit und so unauffällig wie möglich. Kein Wunder also, dass die europäischen Finanzzentren Mailand, London und Frankfurt am Main heutzutage gleichzeitig Brennpunkte der Geldwäsche sind. Die Abgesandten der ’Ndrangheta haben dort längst Fuß gefasst und massiv investiert. Schätzungen zufolge setzt die »Mafia AG« inzwischen 135 Milliarden Euro pro Jahr um und macht dabei einen Gewinn von siebzig Milliarden Euro. Beträge, über deren genaue Höhe man streiten kann, die aber mit Sicherheit eine ungefähre Vorstellung von den Summen vermitteln, um die es sich hierbei handelt.
Mailand ist mittlerweile eine ’Ndrangheta-Hochburg, genau wie San Luca und Platì in Kalabrien. Weit auseinanderliegende Orte, verbunden durch den Kult der kriminellen Macht. Genährt und abgesichert durch »das weiße Pulver«, das es einem ermöglicht, mit unserer rasenden, destruktiven Gegenwart schrittzuhalten. Über eine Million Kokain-Konsumenten gibt es in Italien, grob geschätzt. Eine ständig steigende Nachfrage, der ein nie versiegendes Angebot gegenübersteht, geliefert von Kreisen, die dafür Sorge tragen, dass die Süchtigen – von denen sich
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