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Mafiatod

Mafiatod

Titel: Mafiatod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald E. Westlake
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»Was hat mein Bruder denn getan, Sie Schlaukopf?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte er. »Was es auch war, ich warne Sie.«
    »Scheren Sie sich zum Teufel!«, knurrte ich. Ich brachte mit einiger Mühe die Tür auf und schwankte ins Hotel. Ich sah ihn nie wieder. Welchen Floh er auch im Ohr gehabt haben mochte, entweder war er zufriedengestellt, oder er gab einfach auf.
    In meinem Zimmer lag ich auf dem Bett, und lange Zeit wusste ich nicht, was nicht stimmte. Dann ging es mir auf. Ich hörte Bill nicht im Nebenbett atmen. Ich lauschte. Er atmete überhaupt nicht mehr. Der arme, anständige liebe Bill.
    Ich hatte einmal ein Buch mit Erzählungen von Fredric Brown gelesen. In einer Geschichte schildert er einen Bauern, der durch einen verhexten Wald geht und immerfort zu sich selbst sagt: »Ich bin ein guter Mensch und habe kein Unrecht getan. Wenn ein Teufel mir etwas zuleide tun kann, gibt es keine Gerechtigkeit auf der Welt«, worauf eine Stimme hinter ihm antwortet: »Es gibt auch keine.«
    Der Autor erwähnt es nicht, aber ich wusste es: Der Mann hieß Bill.
    Ich hätte gern mit Kapp gesprochen, aber wir waren übereingekommen, dass es am besten wäre, wenn wir uns gegenseitig mieden, bis alle Bullen weg waren. Es konnte die Dinge nur komplizieren, wenn Kapp hineingezogen würde. Der Polizei hatte ich gesagt, ich wäre allein gewesen, als ich Bill fand.
    Ich stand auf und schaltete das Licht ein. Ich ging hinunter, aber alle Bars in Plattsburg waren geschlossen. Ich kehrte in mein Zimmer zurück, knipste das Licht aus und rauchte im Bett eine Zigarette. Jedes Mal, wenn ich an der Zigarette zog, glühte das Zimmer rot, und im anderen Bett bewegte sich das Bettzeug. Nach einer Weile knipste ich das Licht wieder an und schlief ein.
    Am Freitagnachmittag erschien Onkel Henry aus Binghamton, und wir gerieten in Streit. Er wollte, dass Bill nach Binghamton überführt würde, und ich wollte ihn hier an Ort und Stelle beerdigen. Es war ja nicht Bill, sondern nur ein kalter Leichnam. Meinen Bill gab es nicht mehr.
    Ich gewann, weil ich bereit war, die Kosten zu übernehmen. Dann gab es Probleme mit einem Priester namens Warren; da Bill Selbstmord verübt hatte, konnte er nicht in geweihter Erde begraben werden. »Sie haben hier blöde Beamte, Hochwürden«, sagte ich. »Bill hat sich nicht umgebracht.«
    »Entschuldigen Sie, nach amtlicher …«, erwiderte er.
    Ich unterbrach ihn. »Kennen Sie die Verfassung nicht? In ihr ist die Trennung von Kirche und Staat festgelegt.«
    Ich brachte noch mehr vor, bis er böse auf mich wurde. Onkel Henry war entsetzt, und nachdem der Priester weg war, sagte er zu mir: »Die Kirche hat ihre Gesetze in Bezug auf Selbstmord, und demnach …«
    »Wenn du noch ein Wort von Selbstmord sagst, kenne ich mich nicht mehr.«
    »Wenn dein Vater noch lebte …« Und so fort.
    So trugen am Samstag sechs gemietete Träger den Sarg vom Bestattungsinstitut weg. Für den Selbstmörder wurde bei keiner Kirche haltgemacht; man trug ihn geradewegs aus der Ortschaft zu einem grünen Hügel mit Aussicht auf den Lake Champlain und verscharrte ihn in einem Loch, das kein Priester mit Weihwasser gesegnet hatte. Er musste sich mit Gottes Regen begnügen.
    Onkel Henry und ich waren die einzigen Menschen am Grab, die Bill gekannt hatten. Der Leichenbestatter kam zu uns und erkundigte sich, ob er ein paar Worte sprechen sollte. Bisher hatte ich nicht gewusst, wie ein Mensch aussieht, dem Takt und Gefühl vollständig abgehen. Jetzt betrachtete ich diesen elenden Wurm und entgegnete: »Nein, auf keinen Fall.«
    Nach der Beerdigung sorgte ich für die Unterbringung von Bills Wagen. Er gehörte jetzt mir, aber ich konnte ihn erst fahren, wenn er auf meinen Namen eingetragen war, und das würde allzu lange dauern. Niemand darf den Wagen eines Toten fahren.
    Onkel Henry kehrte mit mir ins Hotelzimmer zurück. »Kommst du mit mir nach Hause?«, fragte er.
    »Nach Binghamton? Dort bin ich nicht mehr zu Hause.«
    »Du kannst zu uns ziehen, wenn du willst. Deine Tante Agatha würde sich freuen, wenn du zu uns kämst.«
    »Entschuldige mich einen Augenblick.« Ich ging ins Badezimmer, setzte mich auf den Fußboden und weinte wie ein kleines Kind. Ich wünschte mir, ein kleines Kind zu sein. Der Fußboden bestand aus sechseckigen Mosaiksteinchen. Ich zählte sie, und nach einer Weile erhob ich mich, wusch mir das Gesicht und kehrte ins Zimmer zurück. Onkel Henry stand am Fenster und rauchte eine Zigarre. Ich sagte:

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