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Magazine of Fantasy and Science Fiction 01 - Saturn im Morgenlicht

Magazine of Fantasy and Science Fiction 01 - Saturn im Morgenlicht

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 01 - Saturn im Morgenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.A.
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Kelly
     
     
    Heute tobte mein Freund vor Wut.
    Während ich überlegte, ob ich lachen oder weinen sollte und sonst nichts weiter zu tun hatte, kam mir die Idee, daß es vielleicht ganz passend wäre, ein paar Notizen über mein Leben während der letzten Monate zu machen, diese schweren Monate, die sich seit dem Tode meiner geliebten Theresa mühsam dahinschleppten.
    Dies, so könnte man vielleicht sagen, wird eine Aufzeichnung für die Nachwelt sein. Und – für Theresa.
    Zuerst sollte ich mich wohl selbst einmal vorstellen. Ich habe sechs Beine und ein paar Kieferzangen mittlerer Größe. Mein Appetit ist groß und nicht wählerisch. Ich bin so schlank wie ein Nadelöhr und so groß wie ein Kragenknopf – kurzum – ich bin eine Schabe.
    Aber – ich bin keine gewöhnliche Schabe. Seit es passiert ist, hat sich alles geändert. In jener Nacht, als wir im Hauslabor unseres ›Freundes‹ herumkrabbelten, erspähte er Theresa und mich und betäubte uns mit einer Flüssigkeit aus einer seiner Proberöhren. Das Feuer, das aus der Lösung schoß, traf uns schwer – Theresa überlebte es nicht. Ich erholte mich wieder, aber für mich änderte sich die Welt. Die Ausgußrohre, der Kaffeesatz und die Insektenkameraden, oder die trägen Gespräche, die niederen Wünsche, das eintönige Leben – das alles interessierte mich nicht mehr. Erst im schützenden Dunkel der Nacht, die sich über ihre vollkommenen steifen Glieder legte, erfüllte mich wieder Lebensatem, und damit entstand etwas Neues: Zweck, Absicht, Verstand! Meine Aufgabe wurde die Rache, mein ›Freund‹ deren Ziel.
    An diesem Tag eröffnete ich meine Kampagne, und damit begann ein Leben der Dramatik und des Abenteuers, gekrönt durch meinen Sieg.
    Das erstemal wählte ich ein Kaffeehaus. Ich sprang von seinem Kragen, tanzte wie verrückt über seinen Nacken und raste seine Wirbelsäule hinunter. An der Gürtellinie schlüpfte ich durch ein kleines Loch in seinem Hemd und zog mich in eine Seitentasche seines Jacketts zurück. Am selben Tag rannte ich im Bus fünfmal seine Wade hinauf und hinunter. Er heulte vor Wut auf.
    Es dauerte nur ein paar Tage, bis er die Situation erkannte, und laut mit mir zu reden begann – wie es ein Mann tun würde, der an einen verhaßten Feind gekettet ist. Es war faszinierend – sein Knurren und Brummen, seine intimen, haßerfüllten Ausbrüche. Alles sichere Zeichen meines Fortschritts!
    Als Steigerung meiner Kampagne reizte ich ihn durch kurzes, für ihn quälendes Erscheinen. Das erstemal, als er sich gerade vor dem Spiegel rasierte, stellte ich mich auf seinem Ohr zur Schau. Bevor seine Hand hochgeschossen kam, hatte ich mich bereits in die Bademanteltasche an der Seite fallen lassen. (Großartige Einrichtung – Seitentaschen!)
    Er konterte mit Aufenthalten in der Sauna, schnellen Besuchen bei Sofort-Reinigungsanstalten, kurzen Bädern, neuen Anzügen und ähnlichen Tricks. Natürlich brachte er seine Schuhe oder auch seine Brieftasche nie zur Reinigung.
    Dann wurden Kinovorstellungen eine Tortur für ihn. Die Dunkelheit war mein Freund. Bei Verabredungen mit jungen Frauen machte ich ihn vor Wut rasend, verwandelte ihn in ein zitterndes, zerbrochenes Wrack, indem ich im Mondschein durch sein Haar tanzte. Endlich störte ich noch seinen Schlaf, indem ich auf seine Nase kroch, auf seinen Augenlidern entlang schlidderte und dazu ein Lied an Theresa sang.
    Seine Freunde bemerkten seine Blässe. Die tiefen Schatten unter seinen Augen gaben zu Diskussionen Anlaß. Er entwickelte ein nervöses Zucken, die Leute fingen an, hinter seinem Rücken zu tuscheln. Seine beste Freundin ließ ihn sitzen.
    Seit kurzem verwende ich Farbe. Ich kroch im Labor, in dem er arbeitet, in einen grünen Farbspritzer. Danach erlaubte ich ihm mehrmals, mich in meinem grünen Anstrich zu bewundern, so daß er auch genau wußte, daß er es mit einer und nur einer Schabe allein zu tun hatte. »Sehr klug«, war sein Kommentar, als er mich zum erstenmal so sah.
    Das Leben ging weiter, leer ohne meine Theresa, aber auf eine andere Art völlig neu, gefährlich und zweckverbunden. Zugegeben, zu essen gab es weniger. Zugegeben, auch meine eigenen Nerven wurden etwas angefranst. Aber ich wußte, daß das die Sache wert war.
    Zudem erhielt ich eine ganz gute Ausbildung. Bei der Arbeit lugte ich über seine Schulter, oder auch im Restaurant, im Bus oder zu Hause; ich lernte lesen. Ich griff Redewendungen aus den medizinischen Drucken auf, die er für seine

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