Magazine of Fantasy and Science Fiction 05 - Die Esper greifen ein
war völlig mit dem Gemüse auf dem zersprungenen Teller vor ihm beschäftigt. Sechsundzwanzig, nein, achtundzwanzig Erbsen! Er zählte die ungeheure, fast unglaubliche Anzahl. Er beugte sich darüber wie ein Mann, der über seinem Rosenkranz betet. Achtundzwanzig köstliche grüne Erbsen und ein paar Spaghetti, um anzudeuten, daß es heute nicht schlecht voranging. Aber unter dem Überfluß schimmerten die Sprünge und Risse auf dem Teller durch und bewiesen, daß noch vieles zu wünschen übrigblieb. Der alte Mann hockte über dem Essen wie ein großer, zerzauster Bussard, der sich aus undurchschaubaren Gründen in diese Wohnung verirrt hatte; endlich blickte er seine hilfreichen Gastgeber an und sagte:
»Diese achtundzwanzig Erbsen erinnern mich an einen Film, den ich einmal als Kind sah. Ein Schauspieler – kennen Sie das Wort? –, ein lustiger Mann, traf in einem fremden Haus des Nachts einen Irren und –«
Der Mann und seine Frau lachten leise.
»Nein, nein, das ist noch nicht der Witz, entschuldigen Sie«, sagte der alte Mann. »Der Irre führte den Schauspieler an einen leeren Tisch, einen Tisch ohne Messer, ohne Gabeln, ohne Essen. ›Die Mahlzeit ist serviert!‹ rief er aus. Da der Schauspieler Angst hatte, ermordet zu werden, spielte er mit. ›Großartig!‹ rief er und tat so, als esse er ein Steak. Dabei kaute er nur mit leerem Munde. ›Prima!‹ er schluckte Luft. ›Köstlich!‹ Komisch, nicht wahr?«
Aber der Mann und seine Frau blickten nur bedrückt auf ihre bescheiden gefüllten Teller.
Der alte Mann schüttelte den Kopf und fuhr fort. »Der Schauspieler wollte den Irren beeindrucken und rief: ›Und diese würzigen Brandy-Pfirsiche! Ausgezeichnet!‹ ›Pfirsiche?‹, brüllte der Irre und zog einen Revolver. ›Ich habe keine Pfirsiche serviert! Sie müssen wahnsinnig sein!‹ Und er schoß den Schauspieler nieder!«
In der darauffolgenden Stille pickte der alte Mann die erste Erbse auf die Gabel und betrachtete sie liebevoll. Er wollte sie gerade in den Mund schieben, als –
Ein scharfes Klopfen ertönte an der Tür.
»Geheimpolizei!« rief eine Stimme.
Schweigend, aber am ganzen Körper zitternd, versteckte die Frau den dritten Teller.
Der Ehemann stand ruhig auf und führte den alten Mann zu einer Wand, in der eine versteckte Tür aufsprang. Der Alte trat hindurch, und die Tür schloß sich wieder hinter ihm. Nun stand er allein in der Dunkelheit. Erregtes Stimmengemurmel drang dumpf durch die Wand. Der alte Mann konnte sich den Geheimpolizisten in seiner mitternachtsblauen Uniform vorstellen, wie er mit gezogenem Revolver umherging, die wackligen Möbel musterte, die leeren Wände, den federnden Linoleumboden, die mit Pappe verklebten Fenster, die dünne und brüchige Schicht der Zivilisation, die an einer leeren Küste übrigbleibt, wenn die Sturmflut darüber hinweggespült ist.
»Ich suche einen alten Mann«, sagte die müde Stimme der Autorität hinter der Wand. Seltsam, dachte der Alte, selbst das Gesetz scheint heutzutage müde zu sein. »Geflickter Anzug –« Eigentlich glaubte ich, daß jetzt jedermann geflickte Anzüge trägt, dachte er. »Schmutzig. Ungefähr achtzig Jahre alt ...« Aber ist nicht jeder schmutzig, jeder alt? seufzte er lautlos. »Wenn Sie ihn ausliefern, erhalten Sie als Belohnung eine ganze Wochenration«, sagte die Stimme des Polizisten. »Außerdem zehn Dosen Gemüse, fünf Dosen Suppe.«
Richtige Dosen mit grellen bunten Aufschriften, dachte der alte Mann. Wie Meteore zogen die Dosen vor seinen geschlossenen Augen vorüber. Was für eine herrliche Belohnung! Nicht zehntausend Dollar, nicht zwanzigtausend Dollar, nein, nein ... fünf unglaubliche Dosen mit richtiger – nicht imitierter! – Suppe, und zehn – man zähle sie! – zehn köstliche bunte Dosen mit Gemüse wie etwa lange Bohnen und sonnengelbes Korn! Man stelle sich das nur vor! Bedenke es!
Es folgte eine lange Pause, in der niemand etwas sagte. Aber der alte Mann glaubte zu hören, wie sich Mägen hoben und senkten, knurrten und blubberten, wie sie von Mahlzeiten träumten – Träume, die deutlicher waren als Bilder –, alter, längstvergangener Tage, hinter denen die Dämmerung hereingebrochen war. Seit dem Vernichtungstag!
»Suppe, Gemüse«, wiederholte die Polizeistimme ein letztes Mal. »Fünfzehn solid verpackte Dosen!«
Die Tür fiel krachend ins Schloß.
Die Stiefel polterten davon, zu anderen dünnen Türen, um andere hilfsbereite Seelen durch laute Rufe über
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