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Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.A.
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zuckend): Laien klagen die Schauspieler immer wegen ihres Schauspielerns an. Weil wir tiefe Gefühle porträtieren können, unterstellt man uns, nicht fähig zu sein, diese Gefühle wirklich zu erleben. Das ist der älteste Vorwurf, den man uns macht.
    SOHN: Und es ist wahr!
    VATER (sehr freundlich von einem flotten Porträt des Cyrano de Bergerac): Mein Kind, ich glaube, du bist eifersüchtig auf mich.
    SOHN (geht ungestüm im Raum auf und ab und schwenkt wild die Arme hin und her): Natürlich bin ich das! Welcher Sohn würde das nicht sein? Umgeben, gehemmt, ja fast erstickt von einem Vater, der sich in Gestalt aller großen Männer zeigt, die es jemals gab, gibt oder geben wird! All die großen Weisen! All die großen Abenteurer! All die großen Liebenden!
    VATER (sanft, von dem halboffenen Mund eines ausgemergelten Gipskopfes des Lazarus über einem Gipsgrab): Aber es besteht kein Grund dafür, jetzt auch noch auf mich eifersüchtig zu sein, mein Sohn. Ich bin doch tot.
    SOHN: Du benimmst dich nicht so, als wärst du es wirklich! Du lebst 237mal – 450mal, wenn wir die Reservebataillone mit zählen. Überall bist du, im ganzen Haus – überall!
    VATER (als Peer Gynt): Aber mein Sohn, das sind doch nur arme Phantome, für einen Augenblick erwacht aus dem alptraumartigen Wachschlaf der Hölle. Nur machtlose Geister ... (Die Porträts stoßen gemeinsame, verwirrende Seufzer aus, und wieder ertönt das gemeinsame Schluchzen derer, die in die Dunkelheit verbannt sind.)
    SOHN (der wieder von Entsetzen gepackt wird und die Türen hinter sich zuschlägt, während er hinaus in den Garten flieht): Das sind sie nicht! Sie sind Facetten deiner Vollkommenheit, verdammt noch mal! Jawohl, deiner miserablen Vollkommenheit, die du dein Leben lang immer wieder poliert hast.
    VATER (von einem hohlwangigen Relief des Don Quichote auf der Verandamauer): Jedes menschliche Wesen glaubt, auf seine Art vollkommen zu sein, selbst der übelste Schurke oder Träumer.
    SOHN: Nicht so, wie du an deine Vollkommenheit glaubtest. Du hast sie vor dem Spiegel geübt. Du hast sie immer wieder geprobt. Du hast das geringste Wort, die kleinste Geste an dir beobachtet, du bist nie aus der Rolle gefallen.
    VATER (ungläubig): Habe ich wirklich so auf dich gewirkt?
    SOHN: Das fragst du noch? Mein Gott, wenn du wüßtest, wie sehr ich darum gebetet habe, daß du einmal einen Fehler machst. Nur ein einziges Mal. Einen Fehler, zu dem du dich auch bekennen müßtest. Aber das ist nie geschehen.
    VATER (schüttelt einen grün angelaufenen Bronzekopf hinter einem Blätterdach): Ich habe nie geahnt, daß du derartige Gefühle hegtest. Natürlich gibt ein Vater seinem Kind gegenüber vor, ein wenig vollkommener zu sein, als er in Wirklichkeit ist. Seine eigenen Schwächen zuzugeben, würde das Kind zu eigenen Fehlern ermutigen. Er möchte sicher sein, daß sein Kind während der Ausbildungszeit zu ihm aufblickt und ihm gehorcht – später kann es vielleicht die Wahrheit vertragen. Kinder können nicht zwischen Schwarz und dem mattesten Grauton unterscheiden. Es ist die Pflicht der Eltern, ihnen ein möglichst gutes Beispiel zu geben, vor allem die des Vaters, selbst wenn er einige Dinge vertuschen und ein wenig betrügen muß, bis das Kind eine objektive Urteilskraft entwickelt hat.
    SOHN: Und als Ergebnis wird das Kind von diesem wunderbar großen weißen Bild der Vollkommenheit erdrückt!
    VATER: Ich kann mir denken, daß das tatsächlich geschehen könnte. Aber willst du mir etwa einreden, mein Sohn, daß du nicht wußtest, daß dein Vater wie andere Männer war? Daß er jede ihrer kleinsten Schwächen besaß?
    SOHN (mit Hoffnung in der Stimme): Meinst du das wirklich ehrlich? Du willst tatsächlich sagen ... (wieder sachlich) O je, ich rieche schon eine neue deiner lilienweißen, hochtönenden Erklärungen.
    VATER (noch immer von dem Bronzekopf des Hamlet): Nein, mein Sohn! Ich könnte mich derartig schlimmer Dinge anklagen, daß es besser wäre, meine Mutter hätte mich nie geboren. Ich war sehr stolz, rachsüchtig, ehrgeizig, ich hatte mehr schlechte Anlagen, als du dir vorzustellen vermagst. Es drängte mich, alles und jeden zu übertreffen. Da mein Leben darauf beruhte, der beste Schauspieler zu sein, neidete ich jedem seine noch so kleinen Talente, selbst dir. Ich verbarg meinen Zorn auf die ganze Menschheit unter einer Maske toleranter Ruhe und Gelassenheit – was mir manchmal gar nicht so leichtfiel, das kannst du mir glauben. Ich lebte für den

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