Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden
mehr. Es schien nicht wert, darauf zu warten. »Schick sie weg«, sagte er. »Ich werde tun, was du verlangst, aber laß sie nicht hereinkommen.«
Sie öffnete die Tür. Das Tapsen und Poltern der Füße verstummte plötzlich, darauf folgte nur ein langes, schrilles, vielfaches Aufseufzen. Madi sprach zu ihnen. Sie gebrauchte Worte, die er nicht zu verstehen erwartete. Sie war eine von ihnen. Sie besaß die Autorität und beherrschte die alte Sprache. Dann ging sie hinaus und schloß die Tür hinter sich zu. Danach hörte er noch zweimal den Klang der Hörner, aber sehr weit entfernt.
»Jawohl, gnädige Frau«, sagte der Mann hinter dem Tisch, »alles in bester Ordnung. Wir haben Ihre besondere Zustimmung durchgebracht. Die Angelegenheit ist bereits geregelt. Möchten Sie den Registrator sehen?«
»Nein, nein, wenn alles in Ordnung ist. Ich habe keine Zeit.« Sie hielt den Atem an und schien sich zusammenkrümmen zu wollen. Der Angestellte beobachtete sie mit hellen, bewundernden Augen, die männlich und unerforschlich waren. Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt und ging hinaus. Vorsichtig, aber bestimmt, schritt sie auf den großen grünen Dom im Zentrum der Welt zu. Kurz vor dem ersten Kreis fiel sie nieder, aber sie war nicht jemand, den man liegengelassen hätte. Sie kamen heraus und trugen sie mit sich ins Innere.
Die unzufriedenen Selbstporträts
Fritz Leiber
Während der letzten fünf Jahre seines Lebens, als seine Theaterkarriere schon so gut wie vorüber war, verbrachte der berühmte Schauspieler Francis Legrande den größten Teil seiner Zeit damit, sich selbst zu porträtieren: Gipsköpfe und Büsten, einige größere Statuen, Ölgemälde, die verschiedensten Skizzen und fotografische Selbststudien. Die meisten zeigten ihn in Rollen, die er selbst auf der Bühne und im Film gespielt hatte. Legrande war stets ein vielseitiger und geschickter Künstler gewesen, und die Ergebnisse waren von guter künstlerischer Qualität.
Nach seinem Tode widmete sich seine Frau der Sorge um die Selbstporträts und anderer mehr oder weniger greifbarer Erinnerungen an den großen Mann. Sie hielt sie am Leben, das heißt, sie staubte sie ab, säuberte sie und gab ihnen gelegentlich frische Luft oder einen anderen Platz. 237 davon standen offen herum, in Legrandes Studio, im Wohnzimmer, in Gängen und Schlafzimmern des Hauses sowie im Garten.
Legrande besaß einen Sohn, Francis Legrande II, der nicht mehr Zufriedenheit und Erfolg im Leben erzielte als die meisten Söhne berühmter und bewunderter Männer. Nach dem Scheitern seiner dritten Ehe und seinem elften Beruf, zog sich Francis – der die Vierzig schon überschritten hatte – für eine Zeit in das Haus seines Vaters zurück.
Sein Verhältnis zu seiner Mutter war freundlich, aber begrenzt: Wenn sie einander begegneten, tauschten sie höfliche, freundliche Worte aus, aber nach einer Weile begannen sie, ihren täglichen Lebensrhythmus verschieden einzuteilen – das ergab sich rein zufällig.
Francis jun. trank zuviel. Er bemühte sich ernsthaft, sich zu beherrschen, ohne jedoch einen festen Plan für die Zukunft zu haben.
Nach sechs Wochen begannen die Selbstporträts seines Vaters zu ihm zu sprechen. Dies erstaunte ihn nicht sehr, denn sie hatten ihn schon seit einer Woche mit den Augen verfolgt, und seit zwei Tagen hatten sie begonnen, ihn stirnrunzelnd oder lächelnd zu betrachten – recht kritisch, dessen war er sicher –, sie starrten und grinsten, und an diesem Morgen war die Luft erfüllt von verhaltenen, gedämpften Stimmen, die kaum zu verstehen waren.
Er befand sich allein im Studio. Richtiger gesagt, er befand sich ganz allein im Haus, da seine Mutter gerade einen Nachbarn besuchte. Zuerst vernahm er einen winzigen Ton, der ihm die Haare zu Berge stehen ließ; es war so wie das Husten von Kreide oder als hätte sich eine Gipskehle geräuspert. Er warf einen Blick zu der weißen Büste, die seinen Vater als Julius Cäsar darstellte, und konnte genau erkennen, wie sich die verputzten Lippen ein wenig öffneten, wie die Spitze einer Gipszunge hervorkam und flink über die Lippen fuhr. Dann –
VATER: Ich irritiere dich, nicht wahr? Oder vielleicht sollte ich besser sagen, wir irritieren dich?
SOHN (erstaunt, aber die Situation als gegeben hinnehmend, entschließt sich, offen zu reden): Nun ja, das stimmt. Für die meisten Söhne ist ihr Vater ein Schrecken – jeder Psychologe, der seinen Job versteht, kann das bestätigen.
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