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Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.A.
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Applaus. Während der letzten Jahre vor meinem Tode war ich bitterböse darüber, daß schlecht beratende Freunde und habgierige Manager mich nicht zwangen, aus meiner Zurückgezogenheit hervorzukommen und Abschiedstourneen zu machen. Ich tat deiner Mutter Unrecht, indem es mich nach anderen Frauen gelüstete, und mir selbst, da ich nicht die Nerven hatte, mich den Versuchungen hinzugeben –
    SOHN: Niemals?
    VATER: Nun, kaum je.
    SOHN: Das ist ungeheuerlich!
    VATER (bescheiden): Nun ja, durch die großen Charaktere, die ich darstellte, inspiriert, ließ ich mich manchmal ein wenig mitreißen. Von ihnen färbte auch etwas auf mich persönlich ab.
    SOHN (ziemlich atemlos): Aber das rückt die Dinge ja in ein völlig anderes Licht. Welch eine Erleichterung! Vater, mir ist ganz wunderbar zumute. (Er stößt ein hysterisches Lachen aus.)
    VATER: Einen Moment, mein Sohn, es kommt noch schlimmer. Ich beobachtete, wie die Persönlichkeit deiner Mutter verblich, ich sah zu, wie sie zu einem Teil meiner selbst wurde, und ich ließ es geschehen, nur weil es für mich so einfacher war. Ich sah zu, wie du unter einer Last von Angst und Schuld dahin stolpertest, und ich habe nie versucht, mich dir zu nähern oder dir die Wahrheit über mich selbst zu sagen, die dir vielleicht geholfen hätte, und das alles nur deshalb, weil es mir schwierig und unbequem gewesen wäre, dies zu tun, und weil ich –
    SOHN: Jetzt gehst du zu weit, Vater. Du mußt dir nicht die Schuld geben, daß –
    VATER (ignoriert die Sympathie): – und weil mir deine scheue, bittere Bewunderung schmeichelte. Du warst so ein leichtgläubiger Zuhörer! Und während der letzten Jahre verlor ich dann, anstatt mich nach außen zu kehren, an allem außer an den Selbstporträts. Auf sie konzentrierte ich mein ganzes Selbst, zum Schluß auch meine Lebenskraft, so daß ich jetzt in ihnen weiterlebe – eine einsame, selbstgeschaffene Hölle. Die Strafe eines Menschen für seine Missetaten ist es, deren Folgen mit anzusehen und manchmal selbst zu erleiden ... sie aber jede einzelne Minute von 237 verschiedenen Punkten aus mit anzusehen, unfähig zu sein, das geringste zu tun, unfähig, selbst eine Meinung zu äußern, ohne das Glück eines einzigen Augenblicks des Vergessens, eines Augenblicks der Ruhe ... (Seine Stimme nimmt einen geisterhaften Ton an) Zehn Jahre! 3650 ununterbrochene Dämmerungen. Im leeren Zwielicht. Zu sehen, wie dieses Haus und der Garten dahinsiechen. Zu sehen, wie deine Mutter dahinvegetiert und ihr Leben an Erinnerungen und sentimentales Zeug verschwendet. Zu sehen, wie du dein Leben einengst, so wie ich es mit meinem getan habe, aber du, bevor du es überhaupt gelebt hast, und dann dein selbstzerstörerisches Trinken. In allem die verdammenswürdige, faule, unabwendbare, dahinkriechende Leere zu sehen ...
    SOHN (wieder verärgert und erschreckt): Ach, jammere mir doch nichts vor, es ist doch deine eigene Schuld, daß du 237mal existierst, erfüllt mit Lebenskraft – jemand anders wäre verdammt froh gewesen, in einer einzigen Gestalt zu existieren. Ich kann dir auch nicht helfen.
    VATER (mit einem teuflischen Grinsen von dem Kopf des Mephistopheles, der zwischen zwei Büschen genau gegenüber dem Hamlet hervorblickt): Doch, das kannst du. Zerbrich uns, verbrenn uns, schmilz uns ein. Gib uns Vergessen! Zerstöre uns!
    SOHN (stürzt zurück ins Haus, um den Feuerhaken zu ergreifen und auch, weil die sprechenden Porträts im Haus weniger unheimlich sind als jene, die sich im Garten verstecken): Bei Gott, das würde ich gern tun! Ich weiß nicht mehr, wie oft ich dieses Haus als ein staubiges, altes Museum angesehen habe, eine Rumpelkammer für die Eitelkeit eines alten Mannes.
    VATER (im Chor): Schlag zu!
    SOHN (hält zögernd inne, den Feuerhaken hoch über seinem Kopf schwingend): Aber man würde glauben, ich wäre verrückt. Man würde sagen, daß mich die Eifersucht auf dich in den Wahnsinn getrieben hat. Wahrscheinlich würde man mich einsperren.
    VATER (wieder als Leonardo): Unsinn! Man würde nur sagen, daß du dich und die Welt von einigen amateurhaften Farbklecksen und unförmigen Gipsklumpen befreit hast. Vernichte uns!
    SOHN (sich verlegen windend): Amateurhaft ist wohl zu übertrieben. So schlecht sind sie nun auch wieder nicht.
    VATER (erfreut): Du meinst also, meine Arbeit habe Qualität?
    SOHN (stirnrunzelnd): Nun, das wäre wieder zuviel gesagt.
    VATER: Vernichte uns!
    SOHN (er hebt den Feuerhaken, zögert wieder): Da ist noch

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