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Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.A.
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Der wirkliche Vater in Person oder aber die Erinnerung an ihn. Wenn der Vater nun auch noch zufällig ein berühmter Mann ist, dann hemmt und schüchtert das den Sohn um so mehr ein. Und wenn der Vater außerdem noch Dutzende von Gesichtern hinterläßt, die er selbst von sich geschaffen hat, wenn er darauf besteht, nach dem Tode weiterzuleben ... (Er zuckt die Achseln.)
    VATER (von einem Gemälde, das ihn als Jesus von Nazareth darstellt, mitleidig herablächelnd): Bald wirst du mich hassen.
    SOHN: So weit würde ich nicht gerade gehen. Du ermüdest mich. Es langweilt mich, dich die ganze Zeit sehen zu müssen.
    VATER: (in dunklen Farben als Strindbergs Kapitän): Du langweilst dich? Du bist doch erst sechs Wochen lang hier. Versetz dich doch einmal in meine Lage, der ich zehn lange Jahre niemand anders als deine Mutter zu Gesicht bekommen habe.
    SOHN (mit einer gewissen Zufriedenheit): Ich war immer der Meinung, daß deine Zuneigung und Verehrung für Mutter übertrieben war.
    VATER (als Romeo, einer Pastell-Skizze): Nein, mein Sohn, das war es wirklich nicht ...
    VATER (als Kopf des Don Juan, unterbricht ihn): Aber es war eine ziemlich langweilige Zeit. Während der letzten zehn Jahre sind genau drei hübsche Mädchen in dieses Haus gekommen, eine sammelte sogar nur für eine soziale Einrichtung und blieb knappe fünf Minuten. Und keine von ihnen hat sich ausgezogen.
    VATER (als Sokrates): Und außerdem langweile ich mich in so vielerlei Gestalt, du aber nur als ein einzelner. Manchmal habe ich mir gewünscht, ich hätte mich nicht mit so einer wilden Begeisterung immer wieder vervielfältigt.
    SOHN (Von einem Stich im Nacken zusammenzuckend, als er den Kopf hin und her bewegt, um von Porträt zu Porträt zu blicken): Das geschieht dir ganz recht! 237 Selbstporträts!
    VATER: Genaugenommen sind es 450, aber die anderen sind eingeschlossen.
    SOHN: Großer Gott! Leben sie auch?
    VATER: Ja, in einer Art betäubten Gefangenschaft ... (Aus verschiedenen Schubladen dringt leises, aber tumultartiges Seufzen und Stöhnen!)
    SOHN (läuft in einem Anfall von Entsetzen aus dem Studio in das Wohnzimmer): Welch enorme Eitelkeit! 450 Selbstporträts! Welch ein Narzißmus!
    VATER (Von einem lebensgroßen Gemälde des King Lear über dem Kamin): Ich glaube nicht, daß es Eitelkeit war, mein Sohn, nicht direkt. Mein ganzes Leben lang war ich gewöhnt, mein Gesicht herzurichten und in irgendein Kostüm zu steigen. Oft brauchte ich dazu eine halbe Stunde oder, wenn etwas Besonderes hinzukam, wie zum Beispiel ein Bart – (das Porträt berührt seinen langen weißen Bart mit den zerfurcht gemalten Fingern) – dann brauchte ich eine Stunde oder noch länger. Als ich mich dann von der Bühne zurückzog, hatte ich noch immer die Gewohnheit, make-up aufzulegen, den Wunsch, mein Gesicht zu schminken. Ich reagierte diesen Wunsch ab, indem ich Selbstporträts von mir herstellte.
    SOHN: Ich hätte mir denken können, daß du eine unschuldige und wohlklingende Erklärung dafür parat hast. Das hattest du schon immer.
    VATER: Im Durchschnitt verkleidete ich mich im Jahr wenigstens 250mal. Folglich sind 237 Selbstporträts weniger als ein Jahr am Schminktisch, und 450 weniger als zwei Jahre.
    SOHN: Es wäre dir nie gelungen, so viele Porträts herzustellen, wenn du dabei nicht einen Trick angewandt hättest. Du hast Fotos und Masken von dir benutzt.
    VATER (als Leonardo da Vinci): Mein Sohn, große Künstler wenden diesen Trick schon seit über 5000 Jahren an.
    SOHN: Schon gut, schon gut!
    VATER (der die Sache sehr fair behandelt): Ich gebe zu, daß die Selbstporträts außerdem noch dazu beitrugen, meine Triumphe wiederzufeiern und die Illusion aufrechtzuerhalten, daß ich noch immer schauspielerte.
    SOHN (grausam): Du hast damit nie aufgehört! Ob auf der Bühne oder im Alltagsleben, immer hast du geschauspielert.
    VATER (als Moses): Das ist nicht gerecht. Ich habe nie viele Worte gemacht. Ich war niemals herrschsüchtig, und (mit Nachdruck) ich war nie pathetisch.
    SOHN (beißend): Stimmt genau! Hinter der Bühne hast du immer die ruhigen Hauptrollen vorgezogen. Deine liebste war die eines übelkeiterregenden, noblen, ernsthaften, unfehlbaren, pfeiferauchenden älteren Helden – die eines modernen Brutus, eines weltlichen Christus, eines weniger volkstümlichen Will Rogers. Aber ganz gleich, wie zurückhaltend deine Charaktere auch waren, du hast es immer fertig gebracht, im Mittelpunkt zu stehen.
    VATER (die gestrichelten Achseln

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