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Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.A.
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traten, sagte die Engländerin, die wie Juliette Recamier aussah (die gleiche hohe Taille, die bauschigen Ärmel und die spitzen Schuhe), mit lakonischer Stimme: »Es ist zu spät. Ich will es nicht.«
    »Niemals?« fragte Giovanni und blickte sie mit dunklen, fremden Augen an.
    »Nein«, entgegnete Jane und schritt die Straße entlang.
    »Lauf ihr nach!« rief Giovannis Freundin aus dem Innern des Lokals. »Los, du Idiot!« Aber Giovanni rührte sich nicht vom Fleck. »Warum bist du ihr nicht gefolgt?« fragte das Mädchen verstimmt. »Sie läuft dir wohl zu schnell, was?«
    »Sie ist verschwunden«, antwortete Giovanni, und das war wahr. Die Straße war leer.
    »Das muß ich Sylvia erzählen! Und glaube bloß nicht, daß ich mit dir den Sonnenaufgang beobachte – das tue ich nämlich nicht. Jedenfalls nicht heute.« Sie hakten einander unter und gingen zurück in das Lokal. »Sie war einfach toll. Unglaublich.« Das Mädchen gähnte und schlenkerte den freien Arm.
    »Vielleicht kommt sie zurück«, meinte Giovanni.
     
    Jane nahm in Gesellschaft nie einen Bissen zu sich. Sie trug Getränke, die ihr jemand spendierte, hin und her, bis sie sie zufällig verschüttete oder man sie ihr wieder abnahm; sie rührte den Tee oder Kaffee um, trank ihn aber nie, und Gebäck zerbröckelte sie in den Fingern. Aus Nüssen und Schokolade baute sie Ornamente auf die Tischplatten. Als Giovanni ihr am nächsten Abend in einem Buchladen auf der Via Venezia begegnete, wollte er seinem Glück kaum glauben. Die Sonne war vor einer Stunde untergegangen, und Signorina Jane stand wie eine große Nachtblume zwischen den Regalen und las in einem englischen Buch, einer Übersetzung des Inferno , des Purgatorio , des Paradiso .
    »Mögen Sie Dante, Jane?« fragte Giovanni ruhig.
    »O ja, sehr«, antwortete sie. »Ich habe ihn in der Schule gelesen.«
    »Wo sind Sie in die Schule gegangen?«
    »In Derbyshire.«
    »Darf ich Ihnen das Buch kaufen?«
    »Nein. Ich lese jetzt nicht mehr«, antwortete sie und stellte das Buch zurück ins Regal.
    »Ich gehe noch zur Schule«, sagte er. »Ich möchte eine Prüfung in Literatur ablegen. Darf ich Sie irgendwohin begleiten, Jane?«
    »Also, schön«, antwortete sie und folgte ihm hinaus auf die Straße.
    »Wohnen Sie in Rom?« fragte er.
    »Ja.«
    »Wo?«
    »In einem Hotel.«
    »Darf ich Sie heute abend nach Hause bringen?«
    »Nein.«
    »Warum? Was haben Sie gegen mich?«
    »Wieso? Nichts habe ich gegen Sie«, entgegnete Jane überrascht. »Ich möchte mich nicht von Ihnen nach Hause bringen lassen, das ist alles.«
    »Haben Sie eine strenge englische Mama, die die Italiener nicht mag?« fragte Giovanni.
    »Ich wohne für mich allein«, erklärte Jane. »Sehen Sie, die Ampeln sind grün!« Sie blickte in ein Schaufenster, in dem ein modernes Ballkleid ausgestellt war. »Oh! Das hätte ich gern«, sagte sie nachdenklich. »Aber es ist nicht sehr beständig, wissen Sie.«
    »Wir waren sehr gekränkt letzte Nacht«, sagte Giovanni ein bißchen verbittert.
    »Gekränkt?« fragte Jane und blieb stehen.
    »Jawohl, gekränkt«, wiederholte er mit Nachdruck. Er ergriff ihren Arm. »Signorina – ach, ich vergaß, das mögen Sie ja nicht – Jane – Jane, bitte laufen Sie nicht weg!« Sie rückte dichter zu ihm, ihr Mund war leicht geöffnet, die Augenbrauen gerunzelt. »Hören Sie, kann ich Sie mit in einen Zirkus nehmen? Würden Sie das gern mögen?«
    »Ja! O ja!« Sie warf die Arme um ihn und blickte ihm ins Gesicht. »Bitte, ja!« Dann errötete sie und trat zurück.
    »Ich bin noch nie in einem Zirkus gewesen, wissen Sie«, fügte sie erklärend hinzu. »Ich habe nämlich kein Geld, deshalb kann ich nur dahin gehen, wo es nichts kostet.«
    »Dann sind Sie also ein armes, verlorenes Mädchen in Rom«, erwiderte Giovanni, »und ich sollte sie überallhin führen.«
    »Ich glaube nicht, daß Ihnen das gefallen würde«, sagte Jane mit unterdrückter Stimme.
    »Das werden wir noch herausfinden«, antwortete er wohlgelaunt. »Aber zuallererst möchte ich Ihnen etwas kaufen.«
    »Etwas, das hält«, sagte Jane hastig.
    »Ja, das ein Leben lang hält.«
    »Ein Leben lang«, rief Jane verstimmt aus. »Was ist das schon? Das ist nichts!«
    »Wie lange haben Sie denn beschlossen zu leben?«
    »Oh! Ich bin achtzehn.«
    In einem kleinen Laden an der Ecke der Via Venezia und der Via Canale kaufte Giovanni seinem neuen Mädchen einen Ring aus Silber und einen polierten Granitstein. Das war billig und doch

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