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Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.A.
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seiner Kellner, und als er sich wieder umwandte, mußte er feststellen, daß sich Signorina Jane inzwischen einem amerikanischen Paar auf der anderen Seite des Raums beim Telefon zugesellt hatte.
    Wenn Jane die amerikanische Bar verließ – das war normalerweise zwei Stunden nach Mitternacht –, hatte sie zunächst kein bestimmtes Ziel. Sie schlenderte durch die Straßen, sie folgte für kurze Zeit willkürlich irgendwelchen Spaziergängern und ließ sie wieder aus den Augen; an Straßenkreuzungen blieb sie zögernd stehen, als wage sie nicht, sie zu überqueren, und oft – sehr oft sogar – hielt sie mit hinter dem Rücken verschränkten Händen unentschlossen inne. Manche Teile der Stadt blieben die ganze Nacht über belebt, und gerade zu ihnen schien sie sich hingezogen zu fühlen. Sie wanderte dort ziellos umher, beschleunigte ihre Schritte, wenn sie zu einer Menschenansammlung kam und drängte sich voller Eifer und Vergnügen durch sie hindurch. Ihr Gesicht bekam dann Farbe und leuchtete. Nahe der Via Colombia befand sich ein kleines Café, in dem sich hauptsächlich Studenten trafen und das die ganze Nacht über geöffnet blieb. Sehr spät an einem Sommerabend oder – besser gesagt – sehr früh an einem Sommermorgen, als der Himmel noch schwarz wie Tinte war, stieß Jane die eiserne Tür des kleinen Lokals auf und ließ sich an einem leeren Tisch nieder.
    »Schneewittchen, wo hast du mein Leben lang gesteckt?« (Jane war so blaß, wie man es nur sein konnte. Sie sagte nichts, sondern hob nur den Kopf mit einem vagen Lächeln.)
    »Schneewittchen, was tust du hier?«
    »Sie muß in einem Keller leben«, sagte jemand hinter der vorgehaltenen Hand. Und ein Mädchen rief aus: »Seht euch doch nur ihr Kleid an!« Dabei betrachtete sie Jane mit neugierigen Blicken.
    »Wie bitte?« fragte Jane ausweichend, wie sie es immer tat, wenn jemand sie direkt ansprach. Sie wandte sich halb ab und blickte dann den Sprecher über die Schulter hinweg an.
    »Sua vesta«, sagte das Mädchen lauter. »Ihr Kleid. Es ist hübsch.«
    »O ja.«
    »Hört nur, sie ist Engländerin«, sagte das Mädchen auf italienisch. »Giovanni, sieh nur. Sie sieht aus wie Madame Recamier. Unglaublich!«
    »Na, jedenfalls liegt sie nicht auf einem Sofa«, antwortete er lachend.
    »Ich gehe zu ihr hinüber. Komm mit.«
    Sie streichelten sie und untersuchten das Material ihrer Kleiderärmel – was sie nervös zu machen schien –, und dann setzte sich ein anderes Paar zu ihnen an den Tisch, der schon für eine Person reichlich klein war.
    »Come sympatica!«
    »Was für wunderschöne Augen sie hat!«
    »Signorina –«
    Jane sagte ihren Namen. Und mit ihrer sanften Stimme fügte sie hinzu: »Signorina heißt ›Miss‹, nicht wahr?«
    Giovanni nickte und stützte das Kinn in die Hände, während er sie anhimmelte. »Ja, das heißt ›Miss‹.«
    »In England ist es eine Beleidigung, jemanden mit ›Miss‹ anzureden«, sagte der andere Mann.
    »Das beweist wieder mal, wie die Engländer sind«, warf das Mädchen ein.
    »Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, sagte Jane.
    »Das zeigt –«, begann das Mädchen zögernd auf englisch und beendete dann den Satz in italienischer Sprache. Alle lachten, daß die Stühle wackelten.
    »Was haben Sie gesagt?« fragte Jane. Giovanni umfaßte ihre Hände und erklärte es ihr.
    »Kaffee?« fragte das andere Mädchen. »Kaffee für alle.«
    »Nein, nein, ich möchte keinen Kaffee«, lehnte Jane ab. »Ich muß jetzt gehen. No, grazie.« Blaß und außer Atem versuchte sie aufzustehen. Tränen traten in ihre Augen.
    »Was hast du mit ihr getan. Sieh nur, was du angerichtet hast!« rief Giovannis Freundin.
    »Aber ich habe doch nichts getan«, antwortete er.
    »Doch, das hast du!«
    »Das habe ich nicht!«
    »Wie spät ist es?« fragte jemand.
    »Vier. Kommt, wir beobachten den Sonnenaufgang.«
    »Ach, nein.«
    »Doch – los, kommt. Es ist doch ein Feiertag.«
    Plötzlich sagte Jane: »Auf Wiedersehen.« Mit ausdrucksloser abwesender Miene erhob sie sich.
    »Was meint sie?«
    »Was ist denn los?«
    »Wir bringen Sie nach Haus«, bat Giovanni. »Bitte, es ist schon spät.« Alle am Tisch sprachen durcheinander, Fragen, Erklärungen, Ausrufe. Die Bedienung brachte den Kaffee. Jane ging zur Tür, und Giovanni sprang ihr nach und faßte ihren Arm.
    »Bitte, Miss –«, sagte er. »Oh, entschuldigen Sie, ich vergaß, Jane!« Gegen die Dunkelheit der offenen Tür, die sich aufzulösen schien, als sie auf die Straße

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