Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden
Erntetag werden wir sie verlassen haben.«
Chell atmete tief ein. »Keine Heimat!« sagte sie mit großen dunklen Augen. »Keine Heimat? David, bitte, scherze nicht mit diesen Dingen. Versuche nicht, uns zu erschrecken –«
»Es ist wahr.« Meine Stimme war jetzt ganz fest. »Es ist gesehen worden. Wir müssen Schiffe bauen und irgendwo zwischen den Sternen ein Asyl suchen. Die Heimat wird nicht länger bestehen. Wir sind jetzt heimatlos.«
»Aber unser Volk – nicht in der Heimat!« Chells Augen füllten sich mit Tränen. »Wie können wir leben? Wir sind ein Teil der Heimat, genauso wie die Heimat ein Teil von uns ist. Wir gehören zusammen, wir können uns nicht trennen.«
»Vater!« Lythas Stimme war ein wenig zu laut. »Vater!« wiederholte sie, »gehen wir alle zusammen im selben Schiff fort?«
»Nein«, erwiderte David. »Jede Gruppe für sich.« Lytha war sichtlich erleichtert. »Unsere Gruppe wird sechs Schiffe haben«, fügte er hinzu.
Lytha verschlang die Hände ineinander. »Wer wird alles in einem Schiff sein?«
»Das ist noch nicht entschieden«, erklärte David. »Wie kannst du dir wegen einer solchen Kleinigkeit Gedanken machen, wenn die Heimat, unsere Heimat, bald nicht mehr sein wird!«
»Aber das ist wichtig«, sagte Lytha errötend. »Timmy und ich –«
»Ach so«, erwiderte David. »Entschuldige, Lytha. Das wußte ich nicht. Diese Frage wird geklärt werden, sobald die Zeit dazu reif ist.«
Es dauerte nicht lange, bis die Kinder den Schock vom Erntetag überwunden hatten. Helles Lachen drang durch die Hügel und Wiesen, genauso wie sonst. Aber David und Chell hielten sich dicht beieinander. Sie teilten die schwere Last, das Heim verlassen zu müssen, so wie alle Erwachsenen der anderen Gruppen. Ich selbst hoffte die ganze Zeit, daß dies alles nur ein böser Traum wäre, aus dem ich bald erwachen würde. Aber zu anderen Zeiten wieder hatte ich das Gefühl, daß dies eigentlich ein Erwachen war. Dies war die Dämmerung nach einer langen Nacht. Und manchmal fühlte ich mich weit fortgerückt von den Ereignissen, so daß ich erstaunt war, wenn ich jemanden in Tränen aufgelöst erblickte. Und dann wieder fürchtete ich mich, fühlte mich schwach, von einer Woge dahingeführt, über die ich nicht hinwegzublicken vermochte. Ich schämte mich, daß ich soviel an mich selbst dachte, anstatt an die sterbende Heimat.
Oft gingen David und ich zu den Versammlungen, wo wir zusammen mit den anderen der Gruppe die ersten Pläne für das Schiff entwarfen. Eines Abends beugte sich David über den Tisch zu dem Ältesten und fragte: »Woher sollen wir wissen, wieviel Nahrung wir brauchen werden, bis wir Asyl gefunden haben?«
Der Älteste blickte ihn ruhig an. »Wir können es nicht wissen«, antwortete er. »Wir wissen nicht einmal, ob wir je Asyl finden werden.«
»Wir wissen es nicht?« fragte David erstaunt.
»Nein«, antwortete der Älteste. »Vor dem Frieden haben wir nie eine andere bewohnbare Welt gefunden. Wir haben keine Ahnung, wie weit wir gehen müssen oder ob wir alle lange genug leben, bis wir eine andere Heimat gefunden haben. Jede Gruppe wird einem anderen Sektor des Himmels zugeteilt. An dem Tag, an dem wir die Heimat verlassen, werden wir wahrscheinlich ein letztes Mal die anderen Gruppen sehen. Es kann gut sein, daß nur ein einziges Schiff die Samen unseres Volkes auf einer neuen Welt zu säen vermag. Es kann sein, daß wir alle gerufen werden, bevor wir eine neue Heimat gefunden haben.«
»Aber«, wandte David ein, »warum bleiben wir dann nicht hier und lassen uns zusammen mit der Heimat rufen?«
»Weil die Macht uns aufgefordert hat, wegzugehen. Sie hat uns Zeit gegeben, die Maschinen herzustellen. Die Macht schwingt das Tor zu den Sternen für uns auf. Wir müssen die Gabe annehmen und zusehen, was wir mit ihr tun. Wir haben kein Recht, unsere Kinder aufzugeben, ihnen die Jahre zu nehmen, die noch vor ihnen liegen.«
Nachdem David diese Botschaft Chell erzählt hatte, ballte sie beide Fäuste und rief: »Wir können es nicht! David, wir können es nicht! Wir können nicht die Heimat verlassen, um irgendwo – oder besser nirgends – hinzugehen!« Sie klammerte sich an ihn und benetzte seine Schulter mit ihren Tränen.
»Man kann immer das, was man tun muß«, sagte er. »Jeder einzelne unseres Volkes muß diese schwere Last tragen, für keinen ist sie leichter und für keinen schwerer. Die Kinder lernen von uns Mut. Sei ihnen ein guter Lehrer, Chell.« Er
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