Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden
wohnte, für Lytha eine Heimat sein würde.
Simon saß meistens allein, etwas entfernt von den anderen, und blickte hinauf zu den strahlenden, glimmenden Punkten.
»Welcher ist dein Stern, Simon?« fragte ich ihn eines Abends.
»Keiner«, sagte er mit ernster Stimme. »Für mich gibt es keinen Stern.«
»Willst du damit sagen, daß du abwarten wirst?« fragte ich.
»Nein«, entgegnete Simon. »Für mich gibt es keinen.«
Einen Augenblick lang setzte mein Herzschlag aus. »Simon, du bist doch nicht gerufen worden, nicht wahr?«
»Nein«, erwiderte Simon. »Noch nicht. Ich werde eine neue Heimat sehen, aber ich werde von ihrem Himmel aus weggerufen werden.«
»O Simon!« rief ich und versuchte, ihn zu beruhigen. »Wie wunderbar, daß du die neue Heimat sehen wirst!«
»Ich werde nicht viel sehen«, antwortete Simon. »Nichts, was Worte ausdrücken könnten.« In seinen Augen lag ein seltsamer Schein. »Aber man sollte die Heimat sehen, wenn der letzte Augenblick gekommen ist, Großmutter. Das ist eins der Dinge, für das ich keine Worte finde.«
»Aber wir werden dann schon eine neue Heimat haben«, erwiderte ich, beharrlich auf dem Thema verweilend. »Du sagtest, –«
»Ich kann nur bis zu dem Zeitpunkt sehen, zu dem ich gerufen werde«, sagte Simon. »Ich werde eine neue Heimat sehen. Ich werde von ihrem fremden Himmel weggerufen werden. Ich kann nicht sehen, was unser Volk dort erwartet. Vielleicht werden sie alle mit mir gerufen werden. Mich erwartet eine Flamme und Helligkeit und Schmerz – und dann die Gegenwart. Das ist alles, was ich weiß. Aber, Großmutter«, seine Stimme hatte wieder den Klang eines normalen Zehnjährigen, »Lytha ist in einer furchtbaren Verfassung. Hilf ihr.«
Die Kinder tummelten sich in der dünnen Schneeschicht, die über den Hügeln und Wiesen lag, ihr klares, sorgenloses Gelächter hallte durch die Fenster bis zu mir und Chell, die mit zusammengepreßten Lippen die Wintertruhen öffnete, die sie erst vor so kurzer Zeit geschlossen hatte.
»Was werden wir in der neuen Heimat alles benötigen, Großmutter?« fragte sie verzweifelt.
»Das können wir nicht wissen«, antwortete ich. »Wir haben nicht die geringste Ahnung, wie die neue Heimat aussehen wird.« Wenn wir überhaupt eine finden, dachte ich.
»Ich habe viel darüber nachgedacht«, sagte Chell. »Wie wird sie wohl aussehen? Werden wir uns erheben können oder an den Boden gebunden sein? Werden wir so leben können, wie wir es jetzt tun, oder werden wir zu den Maschinen zurückkehren und den Zeiten, so wie sie waren, als es Maschinen gab? Werden wir noch immer ein Volk sein, oder werden sich unsere Seelen und Gedanken trennen?« Ihre Hand umklammerte einen hellen Pullover, eine Träne rann ihr die Wange hinunter. »O Großmutter, vielleicht werden wir nicht einmal mehr in der Lage sein, die Mächte zu spüren!«
»Aber du darfst doch nicht so dumm sein!« schalt ich sie. »Die Mächte sind immer mit uns, selbst wenn wir bis zum Ende des Universums gehen müßten. Da wir jetzt noch nicht wissen können, wie die neue Heimat aussehen wird, wollen wir auch noch keine Tränen darüber vergießen.« Ich faltete ein fröhlich gemustertes Hemd auseinander. »Wer weiß?« lachte ich, »vielleicht wird es eine Wasserwelt sein, und wir werden wieder zu Fischen. Oder eine Feuerwelt, und wir sind die Flammen!«
»So weit könnten wir uns nicht anpassen!« protestierte Chell und lächelte, während sie ihr Gesicht an dem Pullover trocknete. »Aber es ist doch eine Beruhigung, zu wissen, daß wir uns ein wenig verändern können, um uns unserer Umgebung anzupassen.«
Ich griff nach einem anderen Hemd und hielt mit ausgestreckter Hand inne. »Chell«, sagte ich, denn ich hatte plötzlich eine Idee. »Was passiert, wenn die neue Heimat schon bewohnt ist? Wenn schon Leben dort herrscht!«
»Na, um so besser«, erwiderte Chell. »Freunde, die uns helfen, uns dort einzuleben –«
»Vielleicht wollen sie uns gar nicht aufnehmen.«
»Aber wir sind Flüchtlinge – heimatlos!« protestierte Chell. »Wenn jemand, der in Not ist, zu uns käme –«
»Auch wenn er ganz anders wäre?«
»Vor den Mächten sind alle gleich«, sagte Chell.
»Denk nur einmal weit genug zurück.« Meine Hand umklammerte das Hemd, so daß die Knöchel weiß wurden. »Denk nur einmal an die Zeit vor dem Frieden.«
Und Chell erinnerte sich sehr gut daran. Sie wandte mir ihr erschrecktes Gesicht zu. »Du meinst, daß es für uns kein Will kommen
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