Magazine of Fantasy and Science Fiction 07 - Musik aus dem All
Furcht, verräterische Laute zu verursachen, hatte Michali nicht vor, die Spitzhacke zu benutzen. Aber fast im letzten Moment, als er kaum noch fünf Minuten zu arbeiten hatte bis zu dem großen Ereignis, übermannte ihn die Ungeduld. Mit ein paar kräftigen Schlägen der Hacke lockerte er das Gestein ringsum. »Sollen sie es hören«, dachte er. »Bis jemand hier ist, werde ich den Schatz bereits freigelegt haben.« Er warf die Hacke zu Boden und steckte in eine Ritze dicht neben dem Stein eine Eisenstange. Er hob den Stein hoch und blickte begierig hinunter in das Loch.
Jimsy hatte es auch nicht länger im Bett gehalten. Da er so wieso keinen Schlaf finden konnte, war er gleich nach Sonnenaufgang aufgestanden. Er hatte keinen Blick für die Schönheiten der Natur, trotzdem bemerkte er die Durchsichtigkeit der Luft, die sanfte Linie des Berges, hinter dem Stheno lag, den Glanz des Sonnenlichts auf dem blauen Wasser. Einen Augenblick stand er unschlüssig vor der Hütte und überlegte sich, ob er schwimmen gehen sollte, als er klar und deutlich das Geräusch einer Spitzhacke vernahm. Jemand arbeitete im Inneren des Grabes. Das war gegen jede Regel.
Wütend lief Jimsy auf den Eingang zu, der jetzt schon ziemlich groß in die Mauer gehauen war. Er ging geradewegs hindurch. Vor sich sah er eine Gestalt, die regungslos an der gegenüberliegenden Wand lehnte; in der rechten Hand eine Eisenstange, blickte sie hinab zu ihren Füßen.
»Was fällt Ihnen ein?« schrie Jimsy, der noch wütender geworden war, als er die Gestalt seines Arbeiters erkannte, dem er am meisten vertraut hatte. Dieser aber bewegte sich nicht. Wie eine Statue stand er in der alten braunen Jerseyjacke und den kurzen blauen Hosen da.
Jimsy ließ die Lampe aufflammen und leuchtete dem Mann direkt ins Gesicht ... Er hielt den Atem an. Wenn irgendwem die Haare irgendwann einmal wirklich zu Berge gestanden haben, dann war dies jetzt bei Jimsy der Fall. Denn in dem hellen Lampenlicht sah er Michalis schwarzes, verschwitztes Gesicht vor sich, die geschwungenen Enden seines Schnurrbarts, die sonnengebräunten Arme – alles dies war weiß wie Marmor. Und so still, so still und kalt wie ein Stein.
»O mein Gott!« rief Jimsy. »Es ist eine Statue!« Und damit hatte er völlig recht.
Mit Schaudern dachte Jimsy später noch oft, wie nahe er daran gewesen war, zu Michali zu gehen und ihn zu berühren, was zur Folge gehabt hätte, daß er auch hinuntergeblickt hätte, um zu sehen, was den Arbeiter hatte zu Stein erstarren lassen. Glücklicherweise packte ihn Panik, Entsetzen über das Unfaßbare, das Unglaubliche, und seine Beine gehorchten ihm nicht länger. Er sackte zusammen, seine Gedanken liefen wild durcheinander. Zu Stein verwandelt – Menschen in Steine verwandelt – natürlich – das war die Lösung! Diese unerklärlichen Gestalten, zerbrochen und aufeinander, getürmt, zweifellos durch die Erdbeben – das waren die Opfer der Medusa, Männer, die hinuntergeblickt hatten in jenes Loch! Es paßte alles zusammen. Und diese Gestalt dort drüben, erschreckend still, strahlend weiß, sein Arbeiter Michali – worauf hätte er sonst starren können als auf den Kopf einer der Gorgonen? Wenige Meter von ihm entfernt mußte sich in diesem Augenblick das tödliche Haupt befinden.
Jimsy drehte sich um und stolperte aus dem Grab, fiel draußen zu Boden und übergab sich. Als er sich wieder etwas in der Gewalt hatte, galt sein erster Gedanke der Flucht; er mußte irgendeinen plausiblen Grund für seine überstürzte Abreise finden und durfte nie wieder hierher zurückkehren. Aber er sah sofort ein, daß dies unmöglich war. Das Grab durfte auf keinen Fall offengelassen werden, es würde zu viele Opfer fordern, und wenn er es nicht mit seinen eigenen Händen zuschüttete, konnte es nicht vermieden werden, daß Arbeiter diese regungslose weiße Gestalt an der gegenüberliegenden Wand erblickten. Und selbst wenn er fähig gewesen wäre, was aber nicht der Fall war, die Wand wieder zu errichten, so war sicher, daß sie wieder eingerissen werden würde. Außer er würde das ganze Mauerwerk, das Dach der Gruft und alles ringsherum unter Steinen begraben. Aber was hatte es für einen Sinn, all dies wieder zu vernichten, nachdem ein Dutzend Männer die zerbrochenen Gestalten gesehen hatten? Nein, es kam nicht in Frage, die Stätte einfach zu verlassen und aufzugeben.
Dann plötzlich aber verliefen Jimsys Gedanken in eine völlig andere Richtung. Er, James Carew,
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