Magazine of Fantasy and Science Fiction 19 - Welt der Illusionen
bestimmtes Pensum zu erledigen. Ich mußte die Stadt Straße für Strafe, Haus für Haus abklappern. Sobald ich mein Tagespensum einmal nicht erfüllte, würde ich nur immer weiter dahinter zurückbleiben. Gott sei Dank war dies der letzte Besuch, den ich für heute zu machen hatte.
Ich sah, daß die Türklinke niedergedrückt wurde, und setzte das Verkaufslächeln auf. Die Tür öffnete sich etwa zwanzig Zentimeter weit. »Ja?« sagte eine Frauenstimme.
»Guten Tag«, sagte ich. »Sie haben hoffentlich nichts dagegen einzuwenden, sich ein paar Minuten lang mit mir über Ihre Lebenserwartung zu unterhalten.«
Die Tür öffnete sich etwas weiter. »Was verkaufen Sie, junger Mann?«
»Langes Leben, Ma'am«, antwortete ich. »Langes Leben.«
Ich sah sie jetzt ganz deutlich. Sie war eine sehr distinguierte alte Lady, eine wirkliche grande dame. Ihr schneeweißes Haar war sorgfältig zu einer etwas altmodischen Frisur arrangiert, die im Nacken von einer breiten Spange gehalten wurde. Sie trug einen riesigen Solitär an einer dünnen Goldkette um den Hals. Ihr Gesicht war von feinen Runzeln durchzogen und trug einen ziemlich strengen, abwesenden Ausdruck; Auftreten, Haltung und Stimme waren beherrscht und kultiviert. Als ich so vor ihr stand, war mir peinlich bewußt, wie naß mein schäbiger Anzug war und daß ich den üblichen Fünfuhrschatten im Gesicht trug, weil ich keine Zeit gehabt hatte, mich heute ein zweitenmal zu rasieren.
Sie sah mich überrascht an. »Langes Leben? Nein, was verkaufen Sie wirklich?«
Ein Windstoß trieb den kalten Regen gegen meinen Rücken und durch die geöffnete Tür. »Schön, kommen Sie lieber herein, bevor wir beide erfrieren«, sagte die alte Dame. Ich trat mit einem dankbaren Nicken in die geräumige Diele, und sie schloß die Tür hinter mir.
Sie beobachtete mich unauffällig, während ich tropfnaß auf ihrem Teppich stand. Natürlich hatte sie meine Tasche bereits gesehen, zeigte jetzt darauf und fragte: »Gesundheitsnahrung?«
»Nein, ich verkaufe keine Gesundheitsnahrung, Mistreß ... äh ...«
»Moswell«, ergänzte sie.
»Ich verkaufe keine Gesundheitsnahrung, Mrs. Moswell, aber was ich zu sagen habe, betrifft auch Ihre Ernährung. Wenn Sie einige Minuten opfern können, möchte ich Ihnen etwas zeigen, das vielleicht Ihr ganzes Leben verändert.«
»Also Bücher.«
Sie ruinierte mein schönes Verkaufsgespräch, dessen Argumente ich so mühsam ausgearbeitet hatte. Ich verkaufte tatsächlich Bücher, aber es war ausgesprochen ungeschickt, schon jetzt damit anzufangen. Es ist immer besser, die Leute zuerst neugierig zu machen und sie für die Sache zu interessieren, bevor man das Buch aus der Tasche holt. Komischerweise gibt es eine Menge Leute, die sofort kopfscheu werden, wenn sie ein Buch sehen.
»Mrs. Moswell«, sagte ich, »was ich Ihnen jetzt erzähle, kommt Ihnen zunächst wahrscheinlich unglaublich vor, aber ich hoffe, daß Sie mich trotzdem aussprechen lassen. Es ist wirklich mein Ernst, wenn ich behaupte, heute könnte der wichtigste Tag Ihres Lebens sein.«
Sie lächelte schwach. »Zweifelsohne, zweifelsohne«, murmelte sie. Dann warf sie einen Blick auf ihre Uhr. »Darf ich Ihren Namen erfahren, junger Mann?«
»Smeed, Mrs. Moswell. Ripley Smeed.«
»Mister Smeed, wenn Sie Ihren Mantel dort drüben aufhängen, höre ich mir gern an, weshalb heute ein so wichtiger Tag ist.«
Ich folgte ihr ins Wohnzimmer und fühlte mich dort so fehl am Platz wie ein Pferd in einer Bibliothek. Der Fußboden des riesigen Raums war mit wertvollen Teppichen ausgelegt, an den Wänden hingen Porträts würdiger Herren aus der Zeit der Königin Viktoria. In dem breiten Marmorkamin brannte ein hohes Feuer. Geschmackvolle Stehlampen beleuchteten elegante alte Möbel, auf deren polierten Flächen sich der Feuerschein spiegelte. Es war ein schöner Raum, der im Vergleich zu der naßkalten Abenddämmerung fast unglaublich warm und behaglich wirkte.
Sie wies mir einen Sessel vor dem Kamin an. Die Wärme hüllte mich von allen Seiten ein, als ich mit einem dankbaren Seufzer Platz nahm. Auf dem niedrigen Tischchen stand ein Tablett mit Teegeschirr. »Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?« fragte Mrs. Moswell. »Wie Sie sehen, wollte ich gerade meinen trinken.«
»Vielen Dank«, sagte ich. »Sogar sehr gern.« Ich konnte nur hoffen, daß meine Stimme nicht allzu überrascht geklungen hatte. Tee in Porzellantassen aus einem schweren Silberservice ist nicht gerade alltäglich für
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