Magazine of Fantasy and Science Fiction 22 - Im Angesicht der Sonne
George-Washington-Brücke und Bear Mountain City lagen. Sein Mund war verkniffen, und er bewegte sich wie ein Schlafwandler.
In Larchmont verfolgte Adele Baxter das Rennen auf dem Fernsehschirm. Jetzt stieß sie unwillkürlich einen leisen Schrei aus Ihr achtjähriger Sohn Tommy rief: »Mom, Mom, er läuft nach Norden zur Brücke! Aber die Brücke ist diesen Monat gesperrt! Er kann dort nicht hinüber!«
»Keine Angst, Tommy«, antwortete Adele, »dein Vater weiß, was er tut.«
Ihre Zuversicht war allerdings nur gespielt. Als Steve jetzt in der Menge untertauchte, lehnte sie sich zurück, um zu warten – und zu beten. Wußte Steve, was er tat? Oder hatte er in der Aufregung durchgedreht? Die Saat des Problems wurde im 20. Jahrhundert gesät, aber erst das folgende Jahrhundert mußte die schreckliche Ernte einbringen. Nach ungezählten Jahrtausenden langsamen Anwachsens kam es plötzlich zu einer Bevölkerungsexplosion; die Menschheit verdoppelte sich und verdoppelte sich nochmals. Seitdem Krankheiten ausgerottet worden waren, während die Lebensmittelversorgung gleichzeitig sichergestellt wurde, gab es weniger Todesfälle, aber um so mehr Geburten. Die Menschheit breitete sich wie ein Krebsgeschwür auf dem Angesicht der Erde aus.
Die vier Apokalyptischen Reiter, die früher eine Art Polizeifunktion übernommen hatten, genügten nun nicht mehr. Pestilenz und Hungersnot waren unmöglich geworden; ein Krieg wäre in diesem Zeitalter äußerster Sparsamkeit ein überflüssiger Luxus gewesen. Nur der Tod hatte nicht aufgegeben – aber auch er war nur noch ein Schatten seiner selbst.
Die Wissenschaft arbeitete mit großartiger Irrationalität weiter daran, mehr Menschen ein längeres Leben zu ermöglichen.
Und die Menschen vermehrten sich unablässig; sie nahmen weiter zu, besiedelten die Erde immer dichter, verpesteten die Luft, vergifteten das Wasser, aßen ihre Algen mit Fischmehlbrot, warteten unbewußt auf eine Katastrophe, die ihre Reihen lichten würde, und warteten vergebens.
Mit der Quantität der Menschen hatte sich auch die Qualität menschlicher Erfahrungen verändert. In einem unschuldigeren Zeitalter waren Gefahren und Abenteuer vor allem in einsamen Landstrichen zu finden gewesen – in Hochgebirgen, in endlosen Wüsten, in feuchten Dschungeln. Aber das 21. Jahrhundert beanspruchte die meisten dieser Landschaften als Lebensraum für seine Milliarden. Gefahren und Abenteuer lockten nun in den riesigen, unkontrollierbaren Städten.
In den Städten gab es heutzutage Gefahren, die wilden Stämmen, gefährlichen Raubtieren und todbringenden Krankheiten entsprachen. Eine Expedition nach New York oder Chicago erforderte mehr Mut, Durchhaltevermögen und Geschicklichkeit als die harmlosen Ausflüge zum Mount Everest oder zu den Nilquellen, auf die sogenannte Forscher früher stolz gewesen waren.
Auf dieser Welt, die einem riesigen Druckkochtopf glich, war Land der kostbarste Besitz. Die Regierung verteilte von Zeit zu Zeit einige Hektar aus Staatsbesitz; zu diesem Zweck fanden örtliche Lotterien statt, die mit einem Landrennen endeten. Diese Wettbewerbe wurden nach dem Vorbild der anderen veranstaltet, die im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zur Erschließung von Oklahoma geführt hatten.
Die Landrennen galten als gerecht und interessant – sportlich für Teilnehmer und Zuschauer. Millionen verfolgten die Rennen, und die beruhigende Wirkung dieser aufregenden Ereignisse auf die breiten Massen wurde von den Verantwortlichen registriert und gefördert. Allein deshalb wären die Rennen gerechtfertigt gewesen.
Außerdem mußte die hohe Sterblichkeitsziffer der Teilnehmer als Vorteil gewertet werden. Sie war absolut gesehen fast unbedeutend, aber die überfüllte Welt war für jede kleine Erleichterung dankbar.
Das Rennen war jetzt drei Stunden alt. Steve Baxter schaltete sein winziges Transistorradio ein und hörte die letzten Berichte. Die erste Teilnehmergruppe hatte den Holland-Tunnel erreicht und war dort von schwerbewaffneten Polizisten zurückgewiesen worden. Andere hatten den langen Marsch nach Staten Island nicht gescheut und näherten sich jetzt den Auffahrten der Verrazzano-Brücke. Freihoff St. John hatte sich ganz allein dem Lincoln-Tunnel genähert, hatte das Abzeichen eines zweiten Bürgermeisters vorgewiesen und war durch die Barrikaden gelassen worden.
Aber nun war es Zeit für Steve Baxters großes Wagnis. Er biß die Zähne zusammen und betrat den berüchtigten Freihafen
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