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Magazine of Fantasy and Science Fiction 23 - Am Tag vor der Ewigkeit

Magazine of Fantasy and Science Fiction 23 - Am Tag vor der Ewigkeit

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 23 - Am Tag vor der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.A.
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Lichtschimmer, den das Plastikmaterial ausschickte. Er erinnerte mich an die Gespenster, von denen Opa immer erzählte, bevor er am Delirium tremens zugrunde ging. Aber diesmal war ich selbst das Gespenst. Ich beschloß, nicht mehr daran zu denken, um mich nicht selbst zu Tode zu ängstigen. In diesem Augenblick klopfte mir jemand auf die Schulter.
     
    Logischerweise wäre anzunehmen, daß ein kräftiger Kerl, der noch dazu eine geladene Pistole bei sich hat, solche Überraschungen gelassen hinnimmt, ohne mehr zu tun, als die Oberlippe zu verziehen und nach seiner Waffe zu greifen. Ich griff instinktiv nach der Pistole, aber ich fuhr auch so zusammen, daß ich mit dem Kopf an die nächste Sprosse stieß und mir eine prächtige Beule einhandelte. Mein linker Fuß rutschte ab, so daß ich nur noch an den Händen hing und über mir Knochen sah.
    Der schwache Lichtschimmer zeigte mir fünf Finger, ein Handgelenk und die Überreste eines Armes, die zu weniger klar definierten Teile der Anatomie führten. Das Skelett hatte kein Fleisch mehr auf den Knochen, die im Halbdunkel phosphoreszierten. Ich erkannte den Schädel, dessen Unterkiefer offenstand, als wolle er eben etwas abbeißen, und den anderen Arm und den Rumpf und die Beine, die zurückgeklappt an der Wirbelsäule lagen, die zweimal gebrochen und zwischen Sprossen und Schachtwandung eingeklemmt war.
    Ich blieb eine Weile unbeweglich hängen, zog dann die Füße hoch, bis ich wieder auf einer Sprosse stand, schluckte dreimal und spürte, daß mir der Schweiß ausbrach. Ich ließ einige Minuten verstreichen, bevor ich zögernd eine Hand hob und nach einem Arm des Knochenmannes griff. Der Unterarm löste sich am Ellbogen; ich ließ ihn fallen und stieg eine Sprosse höher, so daß meine Augen sich dort befanden, wo vorher die Hand des Toten gewesen war. Dort waren an der Wand einige Linien zu erkennen, die zusammen ein schiefes F bildeten. Als ich sie berührte, bröckelte die rostrote Schicht ab. Getrocknetes Blut. Der Mann mit dem gebrochenen Rückgrat hatte vor seinem Tod noch etwas zu schreiben versucht, und er hatte es fast geschafft.
    F wie Falle?
    Ich sah an den Knochen vorbei und starrte den Schacht hinauf nach oben, wo irgendwo mein Ziel lag, das ich erreichen mußte. Dort war der Mann zu finden, den ich finden mußte.
    Ich stieß das Skelett an, und es löste sich in seine Bestandteile auf, die in die Dunkelheit hinabpolterten. Die Sprossen führten weitere dreißig Meter aufwärts; dort endete der Schacht an einer Falltür. Ich rüttelte daran, stieß sie auf und befand mich im Freien auf einem Dach.
    Fünfundzwanzig Meter von mir entfernt ragte ein zweites Gebäude zehn Meter höher als das erste auf, dessen höchsten Punkt ich eben erreicht hatte. Die Fenster dieses anderen Gebäudes waren beleuchtet, und ich glaubte leise Musik zu hören; jedenfalls wirkte es bewohnt. Das Problem bestand also nur daraus, die letzten Meter zu überwinden. Ich trat an die Brüstung und sah mich um.
    Der Ausblick war nicht gerade ermutigend: eine senkrechte Wand, die fünfzehn Meter weit bis zu einem Vorsprung abfiel, auf dem jemand Pflanzen in einem Blumenkasten zog; darunter fiel die Wand weitere dreißig oder vierzig Meter ab und endete in einem umzäunten Innenhof, der aus dieser Höhe nicht größer als eine Briefmarke wirkte. Etwas weiter links führte eine Verbindungsmauer in Höhe des Vorsprungs zu dem anderen Turm hinüber. Rechts waren die vielen Lichter am Rand des umzäunten Geländes zu sehen.
    Das alles half mir nicht weiter. Ich trat etwas von der Brüstung zurück, weil ich leicht von Höhenangst befallen werde, und hörte im gleichen Augenblick ein Geräusch, das mich nach der Pistole greifen ließ. Dann flammten überall am Dachrand Scheinwerfer auf zwei Meter hohen Pfosten auf und beleuchteten die ganze Dachterrasse. Nur eine einzige Stelle im Schatten der offenen Falltür blieb dunkel, und ich stand zufällig genau dort.
    Uniformierte Männer kamen aufs Dach und schwärmten aus. Sie blieben stumm, aber die Revolver in ihren Händen sprachen deutlich genug. Ich wich zurück und hatte jetzt die Brüstung hinter mir. Damit stand mein Entschluß bereits fest; ich schwang ein Bein über die Brüstung, fand einen Tritt auf der anderen Seite, glitt über die Mauer und hörte noch, wie Schritte herankamen, weitergingen, stehenblieben und zurückkamen. Das genügte mir. Ich tastete mit den Zehen nach einem neuen Tritt und begann den Abstieg.
     
    Zehn Minuten

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