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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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Galina uns einmal vorgeschwärmt hatte, eine Junischönheit, kirschrot mit silbrigen Reflexen.
    «Galina fehlt!»
    «Ja, Galina fehlt.»
    Wir haben uns mit unseren noch ziemlich jungen gärtnerischen Kenntnissen durchgewurstelt. Was brauchen wir? Eine Obstwiese! Kirschen fehlten, Aprikosen, ein Birnbaum, ohne Birnbaum wäre es kein Garten. Ein Fresswegle mit Johannisbeersträuchern und – Lukas’ größter Wunsch – «viele Himbeerle». Seitab Reben für Konrad, auf neunzig Stöcke kamen wir im Laufe der Zeit, das reicht bis heute für ihn und unsere Gäste. Gemüsebeete, große Flächen, mit einer klaren Struktur, wir wollten Selbstversorger sein, möglicht wenig Geld in Lebensmittel stecken müssen. Komposthaufen, selbstkonstruierte Wassertanks, die das Regenwasser aus der Dachrinne aufnahmen, und in deren Schatten sechs Hasenställe. Man braucht eine Idee für einen Garten, gewisse Maximen: Struktur, aber so wenige rechte Winkel wie möglich, Blickachsen in die Landschaft hinein und andererseits Winkel, die uns Geborgenheit gaben. Hängematte, Liegestuhl, möglichst uneinsehbar. Auch Lukas hatte schon allerhand unangenehme Erfahrungen mit glotzenden Leuten gemacht.
    «Können die mich jetzt sehen?», fragte er manchmal. Er wusste genau, ab Mai ist zur Straße hin alles zugewachsen, und ab Oktober nicht mehr.
    Unsere Mittel waren begrenzt, deswegen und auch aus Pietät haben wir einiges so gelassen, wie es war. Den alten Feldrain zum Beispiel als hintere Begrenzung des Gartens, eine Mixtur aus Holunder, Schlehen, Schwarzdorn und Weißdorn. Für das Mäuerchen an der Terrasse haben wir Steine verwendet, die durch die Flurbereinigung überflüssig geworden waren – jahrhundertelang hatten sie in den Weinbergen Besitzgrenzen markiert. Manches flog uns einfach zu, Nachbarn schenkten uns Stauden oder Rosenreiser, die Konrad dann auf einen Wildling pfropfte. Damals war es noch allgemein üblich, Pflanzen zu tauschen oder einfach übern Zaun zu reichen, gute Ratschläge inbegriffen.
    Im ersten Jahr war es besonders viel, Salatköpfe, Blumenkohl, und wir haben gern die Hand aufgehalten. «Ein Salatkopf ist ein Ziegel», haben Lukas und ich immer gerechnet, das Geld haben wir dann übrig.
    «Zwei Salatköpfe sind zwei Ziegel, Mama.»
    «Und fünf Salatköpfe und zwei Hände Kirschen?»
    Vom kleinen Einmaleins, das er bei Konrad lernte, ging sein Leben nahtlos in den Einmachkurs über. Alles habe ich ihm gezeigt in diesem Sommer, putzen, waschen, Gläser reinigen. Von scharfen Messern hielt ich ihn noch fern, und von siedendem Wasser natürlich. «Jetzt bleibst du auf dem Höckerle sitzen.» Dafür hatte er das ehrenvolle Amt, die Kochdauer zu überwachen. Zeit messen, etwas ganz Neues für ihn. «Mittelgroße Gurken brauchen drei Minuten.» Er überwachte die Zeigeruhr, die wir von meinem Nachttisch holten. Ein Ruck, eine Minute. In späteren Jahren hatten wir eine Blindenuhr dafür, die auf einen Pfiff hin die Zeit ansagte: «Es ist drei Uhr und siebenunddreißig Minuten.» Lukas pfiff. Das Wunderding antwortete.
    «Ein greller Pfiff?»
    «Aus Tel Aviff!»
    Wurde unser Code für: «Wie spät ist es?» Bis heute. Wir rufen es uns auch manchmal zur Begrüßung zu, ein vertrautes Hallo, das kein anderer versteht – Erinnerung an unsere Zeitspiele, damals.
    «Drei Minuten sind: einmal zur Dahlienhecke und übers Gewächshaus zurück, in die Küche.»
    «Stimmt, Mama.»
    «Vier Minuten sind: aus der Kellertür raus über die Straße zum Eingang der Schule und zurück.»
    Er rannte. Ich wusste, wie schnell er sich vorwärtsbewegen konnte. Ziemlich schnell. «Stimmt, Mama.»
    Mit der Orientierung in der Zeit hat Lukas kaum Probleme gehabt. Im Wohnzimmer schlug die Wanduhr alle viertel Stunde. «Warte, Lukas, ich brauch noch eine viertel Stunde zum Schreiben.» Für ihn eine absolut klare Ansage.
    Unterwegs hat er auf die Uhr vom Kirchle geachtet, die ist überall im Dorf gut zu hören. Und auf den Sonnenstand, auch das ist in einem kleinen Ort viel leichter als in Freiburg. Lukas hat viel weniger Markierungen gebraucht, Haus, Baum, Berg, zehn Punkte in den drei Himmelsrichtungen reichten. In der vierten, im Norden, wusste er, steht die Sonne nie, in der Richtung des alten Schulhauses hat er sie nicht suchen müssen.
    Einmal nachmittags kam er tiefbetrübt von einem Schulfreund zurück. Dieser hatte ihn, wohl in dem Glauben, dass der blinde Gast nicht wissen könne, wie spät es ist, nach Hause geschickt: «Du musst jetzt

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