Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Konrad spendierte Wein, Krug für Krug, «so viel ihr wollt».
Auch nach dem Einzug schaffte Konrad weiter am Bau, sogar bei Dreckswetter. Mit Unterstützung von Nachbarn, denen er seinerseits in den Reben oder auf dem Acker geholfen hatte, setzte er Mäuerle, legte Platten in der Einfahrt. Nachts um elf lief manchmal noch der Betonmischer, und die Dreihunderterlampe leuchtete auf die Vorderseite des Hauses und störte den Schlaf von Lukas. Bis der Frost kam, ungefähr Mitte Dezember, dann war Pause.
Der erste Winter ohne Holzschleppen, Ascheausräumen, Badeofenfüttern. Halbe Samstage verbrachten wir zu dritt im gemütlich dunkelbraun gekachelten, mollig warmen Badezimmer. Ein Schuss Fichtennadelschaumbad in die Wanne, und das Wasser strömte hinein, machte aus dem grünen Gel einen schäumenden weißen Teppich. Heiß, kalt, noch ein bisschen heiß, Lukas prüfte die Temperatur mit dem Finger. Zu dritt hockten wir dann, Konrad zuunterst, ich zwischen seinen Schenkeln, und vor mir Lukas. «Ich römere», juchzte er, «wir römern.» Mal stieg einer aus und holte was zu essen, Kekse oder Würstchen, zwischenzeitlich las Konrad uns etwas vor.
Zu Weihnachten hatten wir wieder einen persischen Studenten bei uns, aus Teheran. Ein reiches, total verrücktes Jahr! Trauriges war auch dabei: Unsere Freundin Galina starb. Wie gern hätte ich ihr unser Haus gezeigt und mit ihr über unsere Gartenpläne gesprochen!! Die großen Ereignisse von 1968 zogen in der Ferne vorüber, wir beachteten die Studentenrevolten in Berlin, Frankfurt und Paris kaum. Selbst ich hörte wenig Radio, nur in den Augusttagen, als in Prag die Panzer herumfuhren und die Freiheit niederwalzten, da durchzuckte es mich. Einige meiner Vorfahren mütterlicherseits haben in Böhmen gelebt, Seite an Seite mit Tschechen, wahrscheinlich sind sie von einem Fürsten dahin verkauft worden. Mit diesem Land fühlte ich mich innerlich irgendwie verbunden. Wirklich erregt hat Konrad und mich in diesem Jahr eine Schandtat ganz in unserer Nähe. Im Städtchen Müllheim wurde die Synagoge abgebrochen. «Eine Affenschande!» Selten habe ich Konrad so toben hören. «Man hätte sie retten können. Und alles wegen einem Parkplatz!»
Gerade hatte er angefangen, sich mit der Geschichte der badischen Juden zu beschäftigen. Er musste sich ja für den Unterricht die Heimatkunde aneignen, dies Thema war für ihn ein besonders wichtiger Teil. Von älteren Einwohnern hat er sich von den jüdischen Viehhändlern und kleinen Geschäftsleuten erzählen lassen. Kleine Geschichten, zum Beispiel von einem Daniel, der auf der Treppe des Gasthauses von Sonnenmatt stand und geweint hat, 1941. «Jetzt kommen wir nicht mehr», habe er zu einigen Bauern gesagt. Hin und wieder hat Konrad auch Dokumente gefunden. Ihm war ein Hauptlehrer namens Salomon Seligmann untergekommen, der um 1900 Gartenbaukurse für Lehrer gab – ein Fundstück aus dem «Frankfurter Israelitischen Familienblatt». Seligmann, ermordet 1941. Dieser Mann, der sich in Sachen Obstbau und Imkerei hervorragend auskannte, war bald wie ein Kollege für Konrad. Er ist in unseren Gesprächen lebendig gewesen, wir vermissten ihn, so, als hätten wir ihn persönlich gekannt.
Etwas Unwirkliches hatte unser neuer Besitzstand. Bis weit in die siebziger Jahre, erinnere ich mich, habe ich es nicht fassen können, bin mir wie eine Hochstaplerin vorgekommen: Haus und Garten, und die gehören uns! Um den Abstand zu den Nachbarn bewahren zu können, haben wir bald noch zwei Ackerstücke dazugekauft, mit Hilfe meiner Eltern, die uns ein Darlehen gaben. Zweitausend Quadratmeter Freiheit hatten wir nun!
Und mir wuchsen Flügel. Fast täglich schrieb ich jetzt, erst für eine Lokalzeitung, dann für zwei. Zeilenhonorar 10 Pfennige, 5 bis 8 Mark am Tag verdiente ich, das reichte fürs Essen und mehr, zu Spitzenzeiten 450 DM im Monat. Morgens, solange Lukas in der Kinderschule war, Recherche, abends schreiben. Der Gesangsverein hat eine neue Vorsitzende. Eine Ziege ist entlaufen. Professor Soundso vom katholischen Bildungswerk spricht über das Weltall: «Im Raum ist der Mensch ein Winziges». Diese neuen, weltbewegenden Themen kamen natürlich auch aufs Dorf. Geburtstage, Brauchtum, Winzerfest, die viel zu kühle Witterung, was gerade kam, von der Redaktion für wichtig erachtet wurde. Unterzeichnet mit «K.W.», und ab in den Postkasten.
Tonband bedienen und abhören, Schreibmaschine schreiben, nicht selten im schnellen Wechsel, das
Weitere Kostenlose Bücher