Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Schuljahresbeginn war inzwischen auf den Herbst verlegt worden) in die erste Klasse nach Ilvesheim konnte. Was wiederum der uns gewogene Herr Glaser dazu nutzte, seinen Vorgesetzten gegenüber die Marschroute auszugeben: Die Grundschule kann der Junge am Ort absolvieren. Schließlich ist der Vater ein erfahrener Pädagoge, und die Mutter kann ihm die nötigen Blindentechniken beibringen. Wir hatten vier Jahre Zeit gewonnen!
Mit der Schule ist Lukas gut zurechtgekommen. Wenn nötig, hat Konrad ihm Hilfestellung gegeben, er schrieb ihm zum Beispiel Dinge, die er auf der Tafel nicht sah, in großen Druckbuchstaben auf einen Zettel, den Lukas dann unters Auge halten konnte. Schönschrift war natürlich die Katastrophe, wie früher bei mir in Freiburg, in der Pfeifferschule. Turnen, Zeichnen und Werken schwach, und genau wie ich war mein Sohn schnell von Langeweile geplagt. Etwas schwierig war, dass der Lehrer der Papa war, und der Papa der Lehrer, plötzlich ist Konrad allgegenwärtig gewesen. Lukas konnte nicht wie die anderen auf dem Schulweg mal abzwitschern, Staudämme bauen oder Quatsch machen. Morgens ein wenig trödeln, das ging auch nicht, der Vater ist immer zehn Schritte hinter ihm marschiert. «Der Sohn von Lehrer Weingartner möchte ich nicht sein», sagten seine Kameraden. «Mit dem Lukas ist der Weingartner noch strenger als mit uns.»
Daheim wurden oft Dinge gesprochen, die nicht nach außen gelangen durften. Bei uns am Tisch ist alles verhandelt worden, ob der Pfarrer Mist gepredigt hat oder dass der Ochsenwirt wieder den Nikolaus spielt, ein vor den Kindern gehütetes Dorfgeheimnis. Vertrauliches über Schüler und deren Eltern, die Winzergenossenschaft. Und natürlich kannte Lukas etliche Lehrertricks, zum Beispiel, dass sein Vater, wenn er auf eine Schülerfrage keine Antwort wusste, sagte: «Frag deinen Großvater!» Oder das tolle Rezept bei Ausflügen, wenn er die Pflanze oder das Käferle nicht kannte: «Schmeiß weg, ist giftig.» In Naturkunde war Konrad nicht sehr sattelfest. Über all das musste Lukas schweigen. «Bei Kameraden hältst du gefälligst das Maul.» Das war für ihn nicht ganz leicht zu begreifen, zumal er eine Plaudertasche war und eifrig bei Erwachsenensachen mitredete.
«Der Ratsschreiber hat gesagt, wir täten in der Schule Gruppensex machen.» Eine lustige Affäre, von der Konrad am Mittagstisch genüsslich berichtete.
«Was ist Gruppensex, Papa?»
«In der Dusche am Donnerstag, wenn alle umeinanderspringen.»
«Aha. Und warum muss der Ratsschreiber deswegen schimpfen?»
Donnerstagabends öffnete Konrad immer die Duschen im Keller der Schule. Da kamen viele vom Dorf, denn kaum ein Haus hatte ja damals ein Bad. Eltern mit Kindern, auch junge Paare rückten an. Dabei ging es ziemlich leger zu, möglich und durchaus wahrscheinlich, dass Männlein und Weiblein nicht immer sauber getrennt blieben. Unser Lukas hockte oft am Rande und ließ den roten Walfisch Jonas auf den Wasserlachen gleiten.
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Konrads Hände
Unseren Garten haben wir gemeinsam angelegt, nach und nach. Im Frühjahr nach dem Einzug und fast noch ein weiteres Jahr lang lagen Berge von Aushub auf der Südseite, und wir haben am Rande gesessen, auf umgedrehten Eimern, und Pläne ausgeheckt. Ursprünglich wollte Konrad rings um den Garten einen Wandelgang aus Reben haben, wie in einer alten Klosteranlage, er hat die Benediktinerabtei Reichenau im Sinn gehabt. «Nicht praktisch», habe ich eingewandt. Viel zu aufwendig für ein Gärtnertrüppchen, das aus einem Sehenden und zwei fast Blinden besteht. Drinnen und draußen mussten natürlich voneinander abgegrenzt werden. Es sollte kein Zaun sein, bloß nicht, nichts Standardisiertes, auch keine geometrisch klare Linie. Wir entschieden uns für eine stachlige Hecke aus Berberitzen, eine natürliche Wehrmauer. Die pflanzten wir zuerst, damit die Hunde und Katzen uns in Frieden ließen und die Kinder mit ihren Fahrrädle Abstand hielten.
In der zweiten Reihe sollte unbedingt etwas Farbiges stehen. Weil der Boden hier trocken war und von der Straße her ständig Staub hereinwehte, schien Lavendel das Richtige, der robuste mit seinem zarten, langlebigen Blau. Dahinter in der dritten Reihe, im Schutz des Hauses, war ein guter Platz für Pfingstrosen verschiedenster Art – von Weiß bis Rot, eine frühe, klassische Strauchpeonie aus China, die im Februar schon dunkelrote Bollen bekommt, und die späte, edle Sorte «Sarah Bernhardt», von der
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