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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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jedoch nicht abkaufen, sie gab dem Druck ihrer fanatischen Schwester nicht nach.
    Mir erschien sie kämpferischer als früher, ihre Stimme kräftiger. Auch ihr Körper, soweit ich das erkennen konnte. Einmal stand Mutter im Licht, am Küchenfenster, sie stützte sich leicht auf die Anrichte, ich sah den Bogen ihrer Hüften, ganz deutlich, und dachte, wie breit sie sind. Ich erinnere mich an eine Szene, da hat sie einem Kerl, der sie und mich angriff, gehörig den Marsch geblasen. Wir hatten einen neuen Metzger im Viertel, bei dem sie schon zwei, drei Mal gewesen war, zusammen mit Peter und Christel, und an diesem Tag nahm sie mich mit.
    «Was ist denn das für ein dunkler Rabe? Ist das auch Ihr Kind?»
    «Das ist unsere Älteste, die Magdalena!», erwiderte Mutter bestimmt. In mir krampfte sich alles zusammen, und noch ehe ich mich an sie drücken konnte, fasste sie meine Hand.
    «War wohl nen fremder Guller aufm Hof.»
    «Das verbitte ich mir!» Mutter war außer sich.
    Beim nächsten Fronturlaub schickte sie Vater zu dem Metzger, er solle dort mal ordentlich auf den Tisch hauen. Tatsächlich entschuldigte der Mann sich und schenkte Vater zum Zeichen seiner Reue einen großen Ballen Schwartenmagen. Mutter hatte mich verteidigt, beide, Vater und Mutter, hatten in einer schwierigen Situation zu mir gestanden. Mit dem «fremden Guller» (alemannisch für Gockel) konnte ich natürlich nichts anfangen, auch nach Mutters kurzer Erklärung nicht. «Dieser Idiot», sagte sie zu mir, meint, sie habe mit einem anderen Mann «ebbis g’het».
    «Ebbis?» Auf Hochdeutsch: «Etwas». Ich wurde daraus nicht schlau. Als Wörterkind ließ mir das keine Ruhe, bis auf weiteres legte ich das «ebbis g’het» in einer gesonderten Rubrik ab: harmlose, unbestimmte Ausdrücke, in denen sich noch eine Art Geheimtür verbirgt, zu der nur Erwachsene einen Schlüssel ausgehändigt bekommen.
    Im Frühjahr 1944 ergab sich erst mal unerwartet ein neues Abenteuer: Ich lernte Französisch.

[zur Inhaltsübersicht]
    April
    Konrad und ich hocken Seite an Seite auf der Steinbank unterm Apfelbaum. Es ist sonnig, beinahe windstill. Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, zwei Wochen vor der Goldhochzeit nichts anderes zu tun, als im Garten zu sitzen – nur dasitzen und sonst nichts.
    Denn alles ist gut vorbereitet und für richtig befunden worden. Märlingen soll es sein, im Kirschblütenland wollen wir feiern, das Menü im guten alten «Hirschen» ist bestellt. Auch die Sondergenehmigung für die evangelische Kirche ist endlich da, wir sind als Katholiken samt mitgebrachtem Pfarrer (und Organisten, den haben wir in der Familie) willkommen. Roben, Accessoires, alles beisammen, sogar der elfenbeinfarbene Schal, und zu Konrads braunem Anzug das gewünschte Hemd, in Lichtrosa. Spätestens nach den Osterfeiertagen hätte also endlich die Ruhe einsetzen können.
    Konrad verschwindet jedoch dauernd irgendwohin. Ich rufe ihn zu Mittag, ich rufe ihn zum Abendbrot. Wie üblich liest er vor dem Essen einen Psalm aus seinem geliebten Qumran-Buch vor.
    «Er schuf die Nacht, die Sterne und ihre Bahnen
    Und ließ sie leuchten.
    Er schuf die Bäume und jede Beere des Weinstocks
    Und alle Früchte des Feldes.
    Und er schuf Adam mit seinem Weibe.»
    Konrad wählt die Texte beziehungsvoll aus. «Und er ordnete die Monate, die heiligen Feste und die Tage.» Spricht’s, klappt das Büchlein zu und entwischt wieder, ins Gewächshaus, zu seinen Hasen, mich meinen Grübeleien überlassend. Wir leben nicht leicht miteinander, beide nicht. Wir sind noch lange nicht das gesetzte, über alle Schwankungen erhabene Ehepaar. Konrad ist der Fels, Magdalena ist der Störsender, so war es von Anfang an. Und ich bin, so seltsam das klingen mag, ein visueller Mensch, und er nicht, jedenfalls ist er auf dem Gebiet des Sehens ohne Leidenschaft.
    All die Tage vor dem großen 19. April, und auch in der Nacht, bleibe ich unruhig. Um mich zu besänftigen, habe ich die Jagd nach Schlüsselblumen wiederaufgenommen. Als Kopfputz fürs goldene Jubiläum hatte ich mir einen Schlüsselblumenkranz ausgedacht. Wegen der anhaltenden Wärme sind sie vor der Zeit verblüht. Noch einmal frage ich bei den Kindern in der Nachbarschaft herum, ob nicht an einem schattigen Plätzchen noch welche sein könnten, im Talgrund, am Nordhang. «Nein, im Schwarzwald oben vielleicht», aber so weit würden sie mit den Fahrrädle nicht ausschwärmen.
    Nun also sind wir endlich am verabredeten Ort, unterm Apfelbaum.

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