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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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blonde Kinder haben.» Ich verstand nicht, was er damit sagen wollte, nicht wirklich. Spielte er auf den rothaarigen Rudi an, meinen besten Raufkollegen, mit dem ich oft in Zimmer 8 erscheinen musste und den ich gern hatte? Den also sollte ich heiraten und nicht Georg, der dunkelhaarig war wie ich und auch gern malte, dessen Beschützerin ich war, den ich mal aus dem schönsten Gewühle, wo er zuunterst lag, rausgehauen hatte und noch lieber mochte als Rudi?
    Das Mädchen, das nach mir in Zimmer 8 gerufen wurde, war nicht mehr lange bei uns in der Schule. Eines Tages fehlte die blonde Anita. Von der Englischlehrerin, die wir alle gern hatten, erfuhren wir, Anita wäre «verzogen». Viele verzogen damals, das wusste ich von der Versteigerungstante Liesel. Wohin? Das Gelände, das für Fragen nicht zugänglich war, wurde größer und größer. Selbst ich wurde vorsichtiger, gewöhnte mich daran, Regeln zu beachten, und vor allem, endlich den Mund zu halten.
    Nach wie vor ging ich in die Pfarrei. Wir hatten unsere Gruppenstunde in der sogenannten Kooperatur, einem alten Haus, in dem es eine «Raubritterburg» gab, einen urtümlichen Saal mit Steinboden und Balken, auch im Sommer eiskalt. Damals lernten wir die Geschichte vom heiligen Martin: ein Mann aus Tours, hieß es, ein Franzose. Beim Jungmädel-Treffen wiederum wurden die Franzosen als böse Menschen dargestellt. In der Gruppenstunde beim Pfarrer hörten wir, wir sollten unsere Feinde lieben, beim Jungmädel-Treffen, wir müssen sie hassen, weil sie uns auch hassten. Oft folgten die beiden Stunden aufeinander, wir rannten aus dem Raubrittersaal auf den vor dem Gebäude liegenden Münsterplatz, um zu exerzieren. Wenn es ganz toll kam, gingen wir danach noch in die Maiandacht, in Uniform.
    Immer dieses Zweierlei, wir wechselten vom einen ins andere und zurück. Wir gehörten zwei Welten an mit total konträren Geboten. In meinem Kopf waren sie so vollständig und säuberlich getrennt, dass mir bei der Gewissenserforschung für die heilige Beichte nie ein böser Streich aus der Jungmädel-Stunde in den Sinn gekommen wäre. Sündigen tat ich nur in dem Bereich, der zur Kirche gehörte, ich beichtete: «Habe in den Taufbrunnen gespuckt. Habe beim Gottesdienst alte Frauen angerempelt. Habe aus dem Werktags-Gesangbuch die Lauretanische Litanei herausgerissen und verraucht.»
    «Verraucht?»
    «Ja. Ich mache aus Waldreben oder aus Buchenlaub Zigaretten, da muss doch Papier drum.»
    «Mädle, gib acht auf dich.»
    Beim «Ego te absolvo» wurde mir leicht ums Herz. Draußen vor dem Münster grölten sie «Heil Hitler!».
    Mein Lieblingslied «Meerstern ich dich grühühühüsse» sang ich immer noch mit derselben unschuldigen Freude wie mit vier Jahren, als die Stallschwester von St. Lioba es mir beigebracht hatte. Meine starke Beziehung zum Kloster der Benediktinerinnen war geblieben, besonders zu Schwester Ottilie.
    «Was singen wir im Mai, Magdalena?» Wir spielten das vertraute Spiel.
    «Salvehe Reeeegiiiina!»
    «Und was noch?»
    «Rooose ohne Dohohohornen, oho Mahariiiihijahaaa hilf.» Zur Belohnung durfte ich an den Rosen riechen. Schwester Ottilie bog die Stängel so für mich hin, dass ich mich nicht an den Stacheln verletzen konnte. Kein Jahr, in dem ich nicht zur Himbeerzeit im Klostergarten erschien, sie hatten eine ganze Himbeerplantage dort. Ich durfte, obwohl ich sicherlich dabei allerhand Schaden angerichtet habe, mithelfen beim Zupfen – und essen, so viel ich wollte.
    Einige Male habe ich während des Krieges unseren berühmten Conrad Gröber predigen hören. Berühmt deswegen, weil er anfangs einen Versuch gemacht hatte, mit Hitlers Leuten zurechtzukommen, später dann, als er sah, dass es nicht ging, ihr Feind wurde. Unser Erzbischof war ein unerschrockener Prediger. Sprach er, war das Münster gesteckt voll, teils von echten Zuhörern, die sich Mut holen wollten, teils von Neugierigen, und wie alle wussten, waren auch Aufpasser in Zivil anwesend, die auf kritische Äußerungen lauerten.
    Rückblickend muss ich mich über unsere Mutter wundern. Ausgerechnet sie, die gelernte Evangelische, hat die katholische Festung wacker verteidigt. Nach wie vor hing bei uns das Kreuz überm Küchentisch, über meinem Bett der Weihwasserkessel und daneben alle Bilder von meiner Kommunion. Nirgends ein Hitlerbild, sehr zum Ärger von Tante Liesel, die uns viel half, Dinge besorgte, die es längst nicht mehr gab, Konzertkarten sogar. Mutter ließ sich ihre Überzeugung

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