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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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weiteren Bomberstaffel Platz zu machen. Es hört nicht auf. Wir schreien, auch die Männer schreien, und auch wenn kein Ton mehr kommt, halten wir den Mund offen, damit die Lunge nicht platzt. Es ist ein einziges, endloses Getöse, und wir wissen kaum noch, ob wir leben oder schon tot sind. Ich kauere unter einer Wölbung in der großen Kartoffelkiste, die Kartoffeln rollen auf mich, ich spüre sie gar nicht, denn von oben runter hagelt es Steine, mehr und immer mehr. Es dröhnt und summt und pfeift, alles, was schrecklich klingen kann, ist vereinigt.
    Dann wird es stiller, jemand stößt offenbar den Durchbruch auf. Von dort kommt die erregte Stimme meines Onkels, der unser Luftschutzwart ist: «Das Haus ist weg.» Wir müssen sofort durchbrechen ins Nachbarhaus, sagt er, ein langer Gang, durch den sollen wir gehen, bis in den Luftschutzraum vom Fliesenlegerhaus. «Leo, wo bist du?» – «Peter!» Mutter, die Tanten, alle rufen einander. «Mamaaaa!» – «Magdalenaaaa!» Mit den Händen arbeite ich mich unter meinen Steinen und Kartoffeln hervor, nur wenige Schritte trennen mich von dem rettenden Loch in der Mauer. Ich kenne seine Position genau, ich war doch dabei, als es gebrochen und lose mit Steinen wieder zugesteckt worden ist, für den Fall der Fälle.
    Und plötzlich sind alle weg, und der Durchbruch ist kein Durchbruch, sondern glüht rot, ich sehe den Widerschein des Feuers an der Wand. Wie in Trance laufe ich zum Wassertopf, reiße Decken vom Luftschutzbett runter und werfe sie hinein und dann über mich. Und krieche durch das Loch, das Feuer rechts von mir und links die Wand. Ist der Gang so lang, oder bin ich so langsam? Nichts von meinen Taschen hab ich dabei, nur die nassen Decken. Und die schreckliche Angst: Wer lebt noch? Und werde ich Mutter finden?
    Stimmengemurmel. «Vater unser, der du bist im Himmel», der Priester, den wir alle gut kennen, führt das Gebet an. Ich bin wieder unter Menschen, in einem stockfinsteren Kellerraum, wo gerade ein Segen erteilt wird. Er werde uns Wegzehrung geben, sagt der Geistliche, wir wüssten ja nicht, ob wir lebend rauskämen. Seine Stimme ist ruhig und sicher, und ich sitze still und horche in mich hinein. «Vater unser», beten die anderen wieder. Ich bringe kein Wort heraus, mein Mund brennt. Ist Gott jetzt nahe genug bei uns?, frage ich mich. Und mir ist so, dass ich es glauben kann.
    Mitten im Beten höre ich meinen Namen. Mutter schluchzt ihn, links von mir muss sie sein, ziemlich nahe. Ich wühle mich in Richtung ihrer Stimme durch, über Körper, Rucksäcke. Jemand tritt, es kümmert mich nicht, nur weiter. Eine Hand ergreift meine Schulter, Mutters Hand, wir umarmen uns, wir betasten einander. Ist alles heil, fehlt dir was?
    «Du riechst nach Brand.»
    «Du auch, Mama.»
    Nun gehen wir hintereinander hinaus durch das Kellertreppenhaus, durch unsere mächtige Toreinfahrt scheint hell das Feuer. Es kracht überall. Vor dem Haus überall Bombentrichter, umgestürzte, brennende Bäume, Schutt und wer weiß was alles. Wir steigen, stolpern, winden uns. Jemand hat mich an der Hand genommen und redet auf mich ein, und ich höre nur das Schreien ringsum und sehe den hellen, rotvioletten, glühenden Himmel, die kleinen Flammen überall. Ich rieche Schreckliches, ahne, was es ist.
    Im Schlossbergbunker ist kein Licht, von außen dringt nur ein wenig Feuerschein hinein. Wir fassen uns an den Händen, um einander nicht zu verlieren. Wir wollen in den letztausgebauten Teil des Bunkers, er gilt als sicher. Er hat 24 Meter Granit über sich, genügend Luftschächte zum Atmen. Unterwegs habe ich vertraute Stimmen gehört, Tante Regina, Leo, meinen Opa, Nachbarn. Wo sind sie jetzt? Ich weine, ich friere schrecklich. Wir sind behütet worden, das ist das einzig Wichtige.
    Beten, du musst beten, Magdalena. Gerade will ich anfangen, da kommt Mutter und holt mich, dorthin, wo sie ein paar Sitzplätze erkämpft hat.
    «Du, Magdalena, ich muss ins Haus.» Steht das denn noch? Bevor ich den Mund aufkriege, redet Mutter weiter.
    «Magdalena, du musst auf Peter und Christel aufpassen. Ich komme wieder, so schnell ich kann.»
    Diesmal passe ich wirklich auf. In den ganzen drei Tagen da unten bin ich so wachsam wie der treueste Schäferhund, halte fast ständig meine Arme über die Geschwister ausgebreitet. Später noch über unsere Kleider und Decken, schon in der ersten Nacht fängt das große Stehlen an. Da schleichen sich Leute an und nehmen einfach was, gerade von den

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