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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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Kindern. Mutter kommt und geht und bringt immer etwas aus unserem Haus mit. Es ist «teilweise zerstört», sagt sie. Nur brockenweise erfahren wir, was los ist, «immer durchs Fenster» steige sie ein und aus, weil in der Toreinfahrt «ein großer Blindgänger» liege.
    Im Bunker türmen sich um uns herum immer höhere Berge von Hausrat und Besitztümern verschiedenster Art. Mutter hat sogar das Feldpostpäckchen für Vater gerettet, mit den hundert Gramm Linzertorte, das wir seit Monaten nicht abschicken können, weil wir nicht wissen, wo er ist. Von draußen kommen ständig Leute, schreien Namen in den Bunker. «Wo bist du, Manfred?» – «Ist hier eine Veronika Kugele?» Manche erzählen. Kaum eine halbe Stunde habe der Angriff gedauert, und fast die ganze Altstadt wäre dahin und viele, viele Menschen tot oder verwundet. Stück für Stück erfahren wir das ganze Ausmaß der Zerstörung.
    Nichts von diesen Tagen und Nächten habe ich vergessen. Nicht, wie die Angst wieder und wieder in mir aufloderte. Nicht das fremde Kind neben mir, das anfing zu reden, es hatte geschlafen wie tot. Empfindungen, heiß, kalt, entsetzlicher Durst. Mein Mund vom Feuerwind versengt und auch nach Tagen noch trocken wie eine Wüste. Malzkaffee, nie zuvor hab ich welchen getrunken, den ersten Schluck musste ich erbrechen, er lief mir aus dem Mund, so ging es vielen. Meine Mutter kam nicht mehr so oft, sie war ständig in unserem Haus. Einmal in der Nacht erschien sie und strich mir über den Kopf, sagte nur kurz, bevor sie wieder loszog:
    «Nun hilft mir Herr Fricker, er lebt auch noch. Aber er hat alles verloren außer seinem Haustürschlüssel.»
    Und ich stellte mir in Gedanken diesen älteren Mann vor, Plattenleger von Beruf, der mir manchmal farbige Fliesenstücke schenkte. Was heißt «alles verloren»?
    Das musste ich sehen! Niemand konnte mich aufhalten. Ein paar Leute, die mich kannten, versuchten es, die Soldaten, die am Bunkerausgang den Saal mit Verwundeten bewachten. «Mädle, Mädle!» Wo bin ich? Feuer, nur Feuer, heller und höher als an dem Abend, an dem wir in den Bunker geflüchtet waren. Der Himmel ist nicht zu sehen, dabei ist Tag, er ist grau verqualmt, er hängt direkt über meinem Kopf. Mein linkes Auge sucht, wo ist kein Feuer, wo sind dunkle Zonen? Meine Füße tappen über Schutt, überwinden Hindernisse, sie stoßen an etwas großes Weiches, ein totes Pferd, und ich springe jäh zur Seite.
    Endlose hundertfünfzig Meter, und dann stehe ich in der Erasmusstraße vor unserem Haus und schaue. Vor mir eine rot glühende Häuserreihe, aber unser Haus ist dunkel, während die beiden anderen links und rechts beinahe wie Adventshäuser aussehen, aus jedem Fenster leuchtet es rot. Genau in diesem Augenblick kracht es, eine dichte schwarz-graue Wolke hüllt die Häuser ein.
    «So, jetzt fällt alles zusammen», sagt jemand, der in der Nähe steht.
    Mutter ist in dem Haus! Und in diesem Entsetzen, weiß ich heute, ist Liebe. Ich liebe sie, ich liebe sie. Bis dahin habe ich immer daran gezweifelt, und jetzt wünsche ich mir mit aller Kraft, von ihr geliebt zu werden. Und laufe los, über die Straße aufs Haus zu, jemand fängt mich ein, ich kenne die Stimme, die mich besänftigt, irgendwie, ein Nachbar vermutlich:
    «Deine Mama ist nicht hier, sie ist auf dem Schlossberg. Es ist nicht euer Haus, das da gekracht hat, das daneben ist es.»
    Was macht Mutter auf dem Schlossberg? Ich will sie gleich suchen gehen, doch eine meiner Tanten nimmt mich bei der Hand. «Kinder sind im Weg.» So taste ich mich wieder zurück, bis in den Bunker.
    Gerade als ich wieder an meinem Platz bin, kommt Mutter. Umhalst uns. «Warum bist du nicht bei uns? Warum bist du auf dem Schlossberg, Mama?», schluchze ich. Sie erklärt kurz und vernünftig, was los ist. Es würde so viel gestohlen, sie habe unsere Betten, Nähmaschine, Radio, alles Wertvolle, zu Freunden auf den Schlossberg gebracht. «Hörst du, Magdalena? Ich muss gleich zurück ins Haus. Wir haben immer neue Brandherde, wir müssen löschen. Du bist meine Große, versteh doch.»
    Genaueres berichtet uns ein Nachbar. Unsere Mutter sei eine «Heldin», sie habe unser Haus gerettet, viele Male. Die Szenen, die er schildert, haben sich mir eingebrannt: Mutter im Ehezimmer, auf den Betten die Spitze einer brennenden Tanne, sie mit der Axt, das Feurige vom nicht Entflammten trennend, Fenster auf und raus. Mutter auf dem Speicher, sie entfernt eine nichtgezündete Brandbombe. Mutter im

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